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Montag, 18. August 2014

The Last of Us


The Last of Us
2013 - PS3
Entwickler: Naughty Dog
Publisher: Square Enix

Wenn die Apokalypse ausbricht, fürchte nicht sie. Fürchte den Menschen in ihr.

Was der wirkliche Horror in The Last of Us ist, wird schon am Ende des atemlosen Prologs mehr als deutlich.  Die nachfolgenden Stunden in einer von einem mutierten Pilz nahezu völlig entmenschlichte Welt, in der das blanke Überleben immer öfter über jegliche Moral gestellt wird, bestätigen das. In bester Romero-Tradition sind die nicht-infizierten Feinde letzten Endes die eigentlichen Feinde, eine Variable, die in den meisten Fällen negativ ausfällt. Was das für das Ende der Geschichte bedeutet, gehört zum Mutigsten, was Spielegeschichten jemals geboten haben - und hinterlässt einen Eindruck, wie ihn nur die besten Spiele hinterlassen können.

Bis es allerdings so weit ist, gilt es vier Kapitel lang zu überleben - gemeinsam. Joel (und den Grund seiner Verbitterung) kennen wir bereits aus dem Prolog, die ihm nach wenigen Spielstunden zugewiesene Ellie müssen wir (und er) noch kennenlernen. Der Schmuggler soll das Mädchen zu einer Rebellengruppe bringen, zunächst widerwillig, doch die Lieferant-Ware-Beziehung entwickelt sich rapide - die Postapokalypse schweißt zusammen. Die Situation ist bekannt, im Kontext eines Spiels aber wahrscheinlich am besten aufgehoben. Erst nach Ausbruch der Seuche geboren, ist Ellies Blick auf die Welt jenseits der gesicherten Zone eine anderer als der Joels und des Spielers, und sie schweigt nur ungern über ihre Eindrücke. Ihre kindliche Faszination für viele Kleinigkeiten, die man als Spieler sonst kaum wahrgenommen hätte, lässt die ohnehin sehr beeindruckende Spielwelt noch lebendiger, noch gehaltvoller wirken. Selten war eine NPC-Begleiterin erzählerisch eine solche Bereicherung - wobei Ellie im Notfall auch ordentlich austeilen kann, sobald Joel ihr genug ver- und zutraut und ihr eine Waffe in der Hände drückt.

Dass sie - wie alle anderen Zwischenbegleiter auch - von den Infizierten völlig ignoriert wird, solange man selbst unbemerkt bleibt, ist Fluch und Segen zugleich. Fluch, weil es im ansonsten durchgehend schmerzhaft glaubwürdigen Spiel den einzigen Atmosphärekiller darstellt, wenn die Kollegen um die Infizierten herumtollen und diese beinahe umrennen und jene keine Reaktionen zeigen, bevor sie nicht den Spieler selbst erblicken oder hören. Segen, weil es andersrum dazu führen würde, dass man aufgrund von permanenten ungeplanten und unkontrollierbaren Entdeckungen seinen Controller mehr als einmal gegen die nächste Wand donnern würde.


Aber das war es wohl auch mit den negativen Punkten und man fühlt sich beinahe schlecht, wenn man überhaupt von einer solchen Kleinigkeit schreibt. The Last of Us ist in jeder Hinsicht so herausragend, dass es einem sprich wörtlich den Atem verschlägt - immer und immer wieder. Wisst ihr noch, wie es war, als man das erste Mal Resident Evil 4 gespielt hat und das Spiel es schaffte, in jedem weiteren Kapitel jedes Mal noch eine Schippe draufzulegen, selbst wenn man dachte, dass "mehr" gar nicht ginge? Hier ist dieses Gefühl, dieses Erlebnis wieder da - nur mit einer (weit) besseren Story. Die Trümmer der Zivilisation sind überraschend abwechslungsreich, visuell wie atmosphärisch, und wem am Anfang vom dritten Kapitel nicht der Atem stockt, muss wohl selbst dem Pilz zum Opfer gefallen sein. So wie das Gameplay zwischen nervenzerreißene Stealth- und Actioneinlagen mit ruhigen Erkundungssequenzen wechselt, so wechselt auch die Szenerie von purer Tristesse zu purer Schönheit, von unüberschaubaren Weiten zu engen, dunklen und staubigen (respektive überfluteten) Gängen, in denen man selbst zu ersticken droht. Perfekt ausbalanciert, ist The Last of Us nie zu lange zu ruhig oder zu nervenaufreibend. Man könnte es auf einen Rutsch durchspielen und zwischendurch nie das Gefühl haben, man hätte erstmal "genug" davon - so abwechslungsreich und spannend ist das Ganze.

Das Kampfsystem ist recht simpel, aber überaus effektiv. Meist versucht man zunächst, die Gegner im Stillen zu erledigen - glücklicherweise kann Joel diese auf eine bestimmte Entferung hören sprich auch durch Wände erspähen (man denke an den Scanmodus aus den Arkham-Spielen, nur reduzierter). Wird man entdeckt, bricht die Hölle los und The Last of Us wird zu einem Deckungsshotter mit einigen Nahkampffeatures, ähnlich wie in Naughty Dog's Uncharted-Reihe. Was die Gefechte besonders intensiv macht, ist die Tatsache, dass jeder Treffer - ob eingesteckt oder ausgeteilt - spürbar gemacht wird. Wird der Spieler von einer Kugel erwischt, ist er für kurze Zeit bewegungsunfähig, wird man von einer bestimmten Infiziertenart erwischt, stirbt man für gewöhnlich sofort, und die Lebensleiste füllt sich nicht von selbst wieder auf, sondern muss durch rare Medipacks  wiederhergestellt werden. Dieses (gar nicht selbstverständliche) Gefühl der Verletzlichkeit, kombiniert mit dem permanenten Mangel an Munition und Ressourcen, macht einen großen Teil der Stimmung und Sogwirkung aus - und lässt wieder einmal schöne Erinnerungen an Resident Evil 4 aufkommen. Die oftmals krasse Brutalität (inklusiver platzender Köpfe) unterstützt diese - doch reiner Selbstzweck scheint der Gore hier nicht zu sein. Zwar ist weniges befriedigender, als dem letzten anstürmenden Banditen mit einer Ladung Schrot zu einem kleinen Flug zu verhelfen  - doch ist auch weniges ekliger, als danach seine Leiche mit aufgeplatzem Bauch und heraushängenden Gedärmen auf dem Boden liegen zu sehen.


Man merkt: Dieses Spiel macht keine Gefangenen, weder in der Darstellung noch in der Erzählung. Dass auch diese zu den spannendsten und intensivsten ihrer Kunstform gehört, macht The Last of Us endgültig zu einem der - Pathos, Pathos - besten Spiele aller Zeiten. Die letzen von uns, das sind die Menschen, die versuchen, in einer durchweg feindlichen Welt zu bestehen, und denen dies bei weitem nicht immer gelingt. Die letzten von uns, das sind die ruchlosen Banditen und die selbstlosen Helfer, die Polizisten, die eine Ordnung in einer kaputten Welt wahren wollen, und die Rebellen, die nicht glauben, dass die Welt irreparabel kaputtist. Das sind die Verzweifelten und die Hoffnungsvollen, die Mordenden und die Rettenden. Das sind Joel und Ellie und das sind für einige Stunden - die sich rückblickend eher wie Tage und Monate anfühlen, so gefüllt und gefühlt sind sie gewesen - auch wir. Der Mensch und die Menschheit. Was diese Worte bedeuten, darf am Schluss jeder selbst erleben.
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- Der Pilz, der im Spiel für den Ausbruch verantwortlich ist, basiert überigens auf einem wirklichen Pilz. Für den Menschen stellt dieser (bisher) keine Gefahr dar - was er mit Ameisen anstellt, ist allerdings hochgradig faszinierend.
- The Last of Us ist übrigens nicht der Beweis dafür, dass Videospiele Kunst sind. The Last of Us ist der Beweis dafür, dass Videospiele Kunst bleiben. 

10

Freitag, 4. Juli 2014

Abbitte


Atonement
Großbritannien 2007
Regisseur: Joe Wright
Darsteller: Saiorse Ronan, Romola Garai, James McAvoy, Keira Knightley u.a.

Tack-tack-tack-tack-tack rattert die Schreibmaschine die anfängliche Idylle zu Bruch, die Anschläge ähnlich den Bühnenbildern in Wrights späterem Anna Karenina: Ein System, ein Rahmen für die Geschichte, dessen Schluss man erahnen kann. Das Vorurteil, oder warum man einzelnen Bildern nicht trauen sollte, im Leben wie im Kinosaal. Briony (Saoirse Ronan beweist sich früh), dreizehn Jahre alt und mit mehr im Kindeskopf als gut für sie und alle anderen wäre, zieht Schlüsse aus Augenblicken und Konsequenzen aus ihren Gefühlen und verdammt damit ihre Schwester (Keira Knightly - es ist fast ein schlechtes Omen, wenn ihre Filmfiguren jemanden küssen) und ihren heimlich geliebten Robbie (James McAvoy sammelt wieder Pluspunkte) zu einer brutalen Trennung. Fünf Jahre später steht der Zweite Weltkrieg zwischen den drei Beteiligten und während Briony sich wortwörtlich das Blut von den Händen zu waschen versucht und ihre Schwester ihre Entschuldigungen nicht annehmen möchte, wandert Robbie wie durch einen (Alp-)Traum durch das rauchende Frankreich, in der Hoffnung auf die heimbringende Küste. Tack-tack-tack-tack-tack rattert die Schreibmaschine die Melodie der nicht erfüllten Wünsche, die Kamera findet die schönsten Bilder für die hoffnungslosesten Momente und wenn Robbie vor einer Kinoleinwand sein Gesicht in seinen Händen vergräbt, sollten wir wissen, dass Erlösung im Leben selbst am seltensten zu finden ist - aber es gibt ja gewisse Mittel und Wege. Joe Wright beweist sich als Garant für ansprechende Buchumsetzungen und präsentiert einen Liebes-, Schuld- und Sühnenfilm in großartigen Bildern (Kamera: Seamus McGarvey*), dessen Ende besser nicht hätte sein können. Das Leben und die Kunst - eine (Hass?)Liebe, an die man gerne erinnert wird.
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Weiterschauen: Anna Karenina (Wright),Wahnsinnig verliebt (Colombani)
*später auch für die Kamera in Anna Karenina sowie The Avengers und Godzilla verantwortlich.
- Ich mochte bisher alle gesehenen Joe Wright-Filme, aber Der Solist wirkt immer noch so ... Chance geben oder nicht?

7




Mittwoch, 18. Juni 2014

Bilder - Zero Dark Thirty (2012)

Eine Frau will seit dem World Trade Center-Anschlag den Verantwortlichen, Osama bin Laden, ausfindig machen - gegen jeden Widerstand und mit allen möglichen Mitteln. Eine kleine, nicht-spoilerbereinigte Bildergalerie.







Der Anfang: Schwärze und Stimmen.


"Käfige für Mensch und Tiere"




Selbstverständlich.



 Zwei Bilder, zwei Länder, zwei Welten. Eine Bedeutung.






Die Aufgabe ist beendet, das Ziel erreicht. Die Frage ist: Was ist danach? Was bleibt? Erschöpfung? Leere? Stille? Trauer? Wenn Trauer, um wen? Was wird aus dem Menschen, der seine Menschlichkeit für seine Aufgabe abgibt - ist er ein tragischer Held oder ein Monster? Oder sind dies gar Tränen der Erleichterung? Was wir in Jessica Chastains letztem Blick sehen, bleibt wohl uns selbst überlassen.

Sonntag, 18. Mai 2014

Fack ju Göhte


Fack ju Göhte
Deutschland 2013
Regie: Bora Dagtekin
Darsteller: Elyas M'Barek, Karoline Herfurth, Katja Riemann, Jana Pallaske, Jella Haase u.a.

- Im Grunde ist das wieder eine "Arschloch trifft Mauerblümchen in lustiger Umgebung, Arschloch wird lieb, Mauerblümchen wird hübsch und alles ist gut"-Geschichte, wie man sie schon in "Keinohrhasen" und zig anderen Filmen vorfindet. ABER! Wenn Zeki und Lisi hier zusammenkommen, tun sie es nicht bloß IN der Umgebung, sondern auch DURCH die Umgebung. Lisi hat die Ambition und das Verständnis für das Schulmilieu, will diesem *nützlich sein*, ihr fehlt aber die Autorität und das Selbstbewusstsein dazu. Zeki *nutzt* seinen Lehrerposten nur als Mittel zum Zweck *aus*, dafür besitzt er die Stärke, das Schulgeschehen unter Kontrolle zu bringen. Lisi weiß, wie man respektiert, Zeki, wie man sich Respekt verschafft. Durch ihre Zusammenarbeit entsteht ein gesundes Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler - selbstverständlich nicht von den typischen Kitschigkeit aller Art verschont (das hat hoffentlich auch keiner zu hoffen gewagt), aber im Konzept der Schweiger'schen RomCom Meilen voraus.
- "Aus dir wird nie etwas werden", hört Zeki in einem Flashback seine alte Lehrerin sagen. Seine Schüler aus der 10B sind seine kleinen Spiegelbilder und er weiß ganz genau, welchen Weg sie gehen wollen und welchen sie gehen werden. Sein "Unterschichten"-Ausflug wirkt platt und fragwürdig, enthält aber die klügere Aussage: Aus euch wird nie etwas werden - wenn ihr so weitermacht. Kein Urteil, sondern eine Feststellung - eine tatsächliche "Lehre". 
- Das Ganze ist vorhersehbar, oftmals platt, bietet eine Deutschkino-typisch arg schnelle Charakterwendung und viel zu laute (immerhin erträgliche) Musik. Dafür kriegt man einen charismatischen Protagonisten, ein liebevolles Design, einige gute Lacher, Paintballschüsse auf Pöbelschüler und anstelle einer "Männer sind doof, Frauen aber auch"-Möchtegern-Message eine größtenteils funktionierende und gar nicht doofe Erzählung um einen, der es im Gegensatz zu den meisten schafft, nicht nach unten, sondern zurück zu blicken. (und um seine lieb-verpeilt-überambitionierte neue Freundin und so. Ist ja auch nur eine Berliner Schule, nicht die Berliner Schule)
- "Erzähle aus der Ich-Perspektive, was der Dinosaurier fühlt, wenn er merkt, dass der elektrische Zaun ausgeschaltet ist."
- DU HAST DIE ZUKUNFT! WIR HABEN DEN PLAN. © McDonald's (steht auf dem Flyer, den Zeki über das Loch in seinem Wagen klebt, als er darin übernachten muss)
- Vielleicht der bunteste deutsche Film seit Fassbinders Lola.
- "Duu, Zeki, wenn du das Geld hast, krieg ich dann neue Titten?" - "Halt die Fresse und drück auf die Hupe, wenn jemand kommt." - "Und eine? Die linke. Die ist irgendwie kleiner. Ernsthaft jetzte." Es tut mir echt ein bisschen leid, aber ich muss immer noch lachen. 

6



Dienstag, 22. April 2014

Die Prinzessin Yang Kwei-fei


Yôkihi
Japan 1955
Regie: Kenji Mizoguchi
Darsteller: Machiko Kyô, Masayuki Mori, Sô Yamamura u.a.

Seit seine Frau verstorben ist, fristet der Imperator Hüan-tsung ein Leben zwischen tiefer Trauer und ihm völlig egal gewordener politischer Anliegen. Sich nicht einflussreich genug vorkommende Familien sehen darin ihre Chance, endlich sozial und machttechnisch aufzusteigen und bemühen sich hochmotiviert darum, dem Herrscher eine neue Angebetene aus den eigenen Reihen schmackhaft zu machen (Sex und Politiik korrelieren gerne), allerdings ohne den gewünschten Erfolg. Bis ein gerissener General im Haus der Familie Yang eine bildhübsche und der Verstorbenen außergewöhnlich ähnliche Küchendienerin entdeckt, die trotz ihres Widerwillens (lieber Küchensklavin als Harembewohnerin) hergerichtet und präsentiert wird. Auch sie fällt in den Augen des Imperators nicht auf, wohl aber in seinen Ohren, als sie eine von ihm vorgetragene Melodie vorspielt und die Seelenverwandschaft bestätigt, die er zu finden nicht mehr gehofft hat. Doch das Glück währt nicht lange, als ihre Mitgift in Form einer gierigen Familie den Zorn der Bevölkerung auf sich und letzlich auch auf sie richtet - das Glück des Herrschers ist nicht selten das Leid seiner Untertanen.

Mizoguchis erster und letzter Farbfilm ist nicht gerade sein bester (in meinen Augen der schwächste, den ich von ihm bislang gesehen habe): Was die Geschichte inhaltlich trägt, ist in wenigen Szenen umrissen, und so wirkt das Ganze etwas zähflüssig und gezogen, selbst für die kurze Laufzeit von eineinhalb Stunden. Dabei ist der Film nie uninteressant; wie seine Figuren durch fremden Zwang zueinander finden und plötzlich abseits aller Machtpolitik in einander ihr Glück finden, ist ein berührend menschlicher Ausbruch aus den gesellschaftlichen Systemen. Dass diese zurückschlagen, erwartet man, und so ganz will einen der Ausgang leider auch nicht treffen - zumindestens zunächst nicht. Die finale Szene mag zwar nicht die symbolische Wucht von Mizoguchis früheren Werken in sich tragen, an Gefühl fehlt es ihr aber in keinster Weise - viel berührender könnte die Erzählung nicht ausklingen.
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- Mizoguchis vorletztes Werk - es folgte nur noch "Die Straße der Schande", dann waren das Leben und die Filmographie (die beinahe 100 Filme fasste) des großen japanischen Regisseurs zu Ende.
- Basiert auf einer alten chinesischen Legende, die es auch als japanische Variation mit glücklicherem Ende gibt - Mizoguchi entschied sich (natürlich) für die konsequentere Fassung. 
Weiterschauen: Die Legende vom Meister der Rollbilder (und alles weitere von Mizoguchi)

6




Mittwoch, 9. April 2014

Man of Steel - Von Übermenschen und Überinszenierung



Man of Steel
USA 2013
Regie: Zack Snyder
Darsteller: Henry Cavill, Michael Shannon, Russel Crowe, Amy Adams, Kevin Costner, Diane Lane, Laurence Fishburne u.a.

Snyder und der Übermensch

300: Eine Schwarz-Weiß-Welt der Antike. Es gibt die perfektionierten Menschen (Suche nach körperlicher Vollendung, systematische Nachwuchsselektion) und es gibt die entstellten, pervertierten Nicht-mehr-Menschen (unter den Masken verbergen sich monströse Kreaturen; der - wiederum entstellte - Verräter - sein Verrat ist natürlich ein starkes Argument pro Vernichtung Missgebildeter - findet sich später an einem Ort der ausgelebten Sünde des Fleisches). Die Guten gegen die Bösen. Die große Tat besteht darin, sein Leben für sein Volk, sein Land, sein System zu geben - die noch größere Tat aber ist, jenes Opfer in der Erzählung fortzutragen. Übermensch, das ist, wenn der perfekte Mensch die anderen überragt.

Watchmen: Eine Grau-Grau-Welt der Moderne. Es gibt die Menschen, die in Hass und Angst (vor der völligen Auslöschung) leben, und die Menschen, die sich Kostüme überziehen, weil sie die Angst besiegen wollen (dem Hass entkommen sie nur selten). Die Guten für die Schwachen. Die große Tat besteht wieder in einem großen Opfer - aber nicht mehr im eigenen. Übermensch, das ist, wenn man seine Menschlichkeit für das Wohl (?) der Menscheit abgibt.

Sucker Punch: Eine Kunterbunt-Regenbogenwelt der Postmoderne. Es gibt die Menschen (Männer), die begehren, es gibt die Menschen (Frauen), die begehrt werden. Die Hungrigen für die Wahrheit durch die Lüge, die Ausgenutzten für ihre Freiheit durch ihre Gefangenschaft (in ihren Rollen). Die große Tat besteht darin, das System zu zerstören, indem man selbst zum System wird. Übermensch, das ist, wenn der Mensch jede Erwartung erfüllt und zugleich bricht.

...was Man of Steel in dieser Auflistung auch tut - er passt in sie und zugleich passt er nicht. Superman respektive Kal-El (nach Tarantino: Clark Kent ist Supermans Maske, nicht etwa umgekehrt!) ist der Ur-Superheld, der Ur-Übermensch der Popkultur - zugleich ist er aber eigentlich gar kein Mensch. Er ist ein Alien, ein Überbleibsel einer Kultur, die durch Ressourcenmissbrauch und Geburtenkontrollen - grüßen uns da etwa die Spartaner? - zugrunde gegangen ist; er ist aber schon in dieser ein Wunder, als erste natürliche Geburt seit [insert large time period]. Eine Hoffnung für seine Heimat, durch seine Zwangsemigration aber auch eine Hoffung für seine neue Heimat - könnte man meinen. Er ist ein Kind zweier Welten (genetisch kryptonisch, sozial irdisch) und dadurch ein doppeltes Überwesen: Den Menschen hat er seine "Superkräfte" voraus, den (letzten) Kryptoniern die Moral.

Und so ist seine Entwicklung die genaue Umkehr der Wege der Spartaner aus 300 und der Figuren aus Watchmen (Ozymandias und Dr. Manhattan). Jene verlieren ihre moralische Basis, während sie sich ihrer Perfektion nähern, Kal-El aber gewinnt diese, während er seine Über-Perfektion an die irdische und menschliche Umgebung anzupassen versucht. Nite Owl muss erst mehrere Knochen brechen, bis er seine Potenz wiedererlangt, Kal-El hingegen muss lernen, die andere Wange hinzuhalten statt zurückzuschlagen. Übermensch, das ist, wenn man den Schmerz lieber auf sich nimmt. Auch: Wenn man seine Vergangenheit für eine fremde Zukunft auslöscht. Ein Kind zweier Welten, das zwischen die beiden gedrängt wird, und eine Entscheidung fällen muss, die nur schmerzen kann (damit tatsächlich in der Tradition eines Nolan'schen Superhelden; ich persönlich sehe aber eben lieber jene, die eher mit ihren Entscheidungen statt mit ihren Feinden kämpfen).

Snyder und der Bewegungsrausch

Es ist zunächst überraschend, wie Snyder Man of Steel inszeniert. Der Mann, der die Verlangsamung von Actionszenen in den letzten Jahren auf die Spitze getrieben hat, der jedem Schlag, jedem Schuss und jedem Stich in 300, Watchmen, Sucker Punch eine gefühlte Ewigkeit widmet, präsentiert in diesem Werk ein gefühltes Chaos aus Stakattoschnitten, Wackelschwenks und Zooms. Der radikale Bruch ist aber sinnig, wenn man das Außerirdische in Kal-El aus der Erzählung auf die Bildebene überträgt. Seine Wahrnehmung dieser Welt ist nicht mit unserer vergleichbar, sein Raumgefühl ist unserem ähnlich fern wie Dr. Manhattans Zeitempfindung*. Der Mensch denkt in Entfernungen und Raumbegrenzungen, aber diese existieren für Kal-El nicht, da er räumliche Barierren durch seine Kräfte negiert. "The world's too big, Mom". sagt er, als er sich als Kind in einer Abstellkammer versteckt. "Then make it small.", antwortet sie ihm. Spätestens bei seinem ersten Flug hat er dies vollbracht - die gesamte Erde ist nur noch ein rasend schnell wechselnder Hintergrund für seine Bewegungen. Die Action, die der Zuschauer im Finale erlebt, ist somit den Grenzen der menschlichen Wahrnehmung enthoben, es ist die schnellste, heftigste Action, die je auf Film gebannt wurde - und das Beeindruckendste, was ein grundsätzlich absoluter Mainstreamblockbuster inszenatorisch jemals gewagt hat. Sie hat nicht mehr die Orientierung des Zuschauers zum Ziel, sondern ist vollständig an den Protagonisten angepasst. Selten wurde eine subjektive Wahrnehmung durch Bilder so grandios vermittelt - in diesem Genre wahrscheinlich noch nie.

Abseits der Immersion (oder der Erschwerung dieser?) ist die enthobene Inszenierung aber auch Indikator der Stärkenverhältnisse. Für Kryptonianer ist der Mensch auch mit seiner besten Technik praktisch so bedrohlich wie eine Ameise, eine Großstadt demzufolge auch so nichtig wie ein Ameisenhaufen aus unserer Sicht, die Terraformingmaschinen bestätigen diese Abstufung. Lebensraum zerstören, um Lebensraum zu schaffen: Das ist nichts Neues, läuft nur dieses Mal umgekehrt, und was uns ein Baum ist einem anderen ein Haus. Irgendwann schmeißen sich Kal-El und Zod gegenseitig durch Wolkenkratzer und dann ist die Action so schnell, dass die Großstadtkulisse zu einer scheinbar unbelebten Kulisse wird - es gibt den Guten, den Bösen und die Trümmer. Man könnte nun meinen (viele tun es anscheinend), dass der nun fehlende Blick auf den menschlichen Kollateralschaden jenen negiert. Tatsächlich wissen wir aber auch in diesem Moment noch, dass die Menschen unter den Trümmern nicht weg sind, weil wir sie zuvor noch um ihr Leben kämpfen gesehen haben - und auch zum Schluss des finalen Kampfes kehren sie ins Bild zurück, wenn Kal-El eine letzte Entscheidung fällen muss und als Zerstörer im Retter auf Knien endet. Dazwischen liegen die Bilder, in denen deutlich wird: Wer über anderen steht, sieht auch über andere hinweg, ob er will oder nicht.

Schade allerdings, dass die geniale Inszenierung und die interessante Grundgeschichte an ein eher schwaches Drehbuch gebunden sind. Goyers Dialoge sind Snyders Bildern selten würdig und über die Logik der einzelnen Handlungselemente mag ich mich gar nicht mehr unterhalten. So bleibt es beim formalen Meisterwerk und man könnte fast meinen, sich hier und da die Ohren zuhalten zu können, wäre da nicht Hans Zimmers einprägsam-epischer (ich mag das Wort mittlerweile nicht mehr, aber es passt) Soundtrack - wobei das für viele wohl nicht als Argument durchgehen wird. Aber was ein Glück, dass Filme im besten Falle vor allem filmisch erzählen - wenn Snyder das tut, lauschen zumindestens meine Augen gerne. 
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* Das Dr. Manhattan-Kapitel ist in der Verfilmung zwar grundsätzlich eindrucksvoll umgesetzt, verliert aber gegenüber der Comicvorlage dennoch deutlich in der Darstellung von Jons Wahrnehmung der Zeit; hier ist das Medium Comic dem Medium Film in der Perspektivendarstellung überlegen. "Man of Steel"s räumliche Abhebung ist jedoch stark an die Wahrnehmungsgeschwindigkeit gekoppelt, somit gelingt dem Film etwas rein *Filmisches*, etwas, was kein anderes Medium so darzustellen in der Lage wäre (behaupte ich mal ganz großspurig; man darf mir gerne Gegenbeispiele präsentieren).
- Hat sich im Heimkino sogar noch besser als im Kino angefühlt. Irgendwann habe ich bei jedem Schlag orgiastisch gezuckt, wenn man durch Filmgenuss geistig "kommen" kann, hatte ich mehr als nur einmal multiple Orgasmen. Ich danke meinen Nachbarn, dass sie sich nicht beschwert haben; vielleicht ist die Wohnung aber einfach nur gut isoliert? Auf jeden Fall kann ich die Blu-ray jedem ans Herz legen, der seiner Anlage etwas Großes gönnen möchte.
- Wenn Kal-El "I grew up in Kansas, General. I'm about as American as it gets." sagt, höre ich unweigerlich "God exists - and he's American."
- Beim Screenshotaussuchen merke ich, dass es in dem Film eine Unmenge an Close-Ups von Händen gibt (tatsächlich wirkt auch die Terraforming-Maschine ein wenig wie eine Greifhand). Manchmal findet sich Hoffnung in den Händen, manchmal nur noch ihr Staub. Interessant.
Weiterschauen: Als Gegenbeispiel für perfekte "geerdete" Action empfehle ich heute The Last Stand von Kim Jee-Woon; wer weitere Filme sehen möchte, dessen Bilder die gängige Wirkung überschreiten, kommt an Cuarons Gravity nicht vorbei (alle anderen eigentlich auch nicht); ansonsten lohnen sich Snyders Hauptwerke 300, Watchmen und Sucker Punch für den aufgeschlossenen Zuschauer eigentlich immer (Dawn of the Dead und die Guardians müsste ich selbst noch einmal sehen).

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Donnerstag, 27. Februar 2014

Die Brut


The Brood
Kanada 1979
Regie: David Cronenberg
Darsteller: Oliver Reed, Samantha Eggar, Art Hindle, Cindy Hinds u.a.

Das Kino des David Cronenberg kehrt mit großem Vergnügen das übertragend Innere zum buchstäblichen Außen - hier bekommt der Prozess sogar einen eigenen Namen, "Psychoplasmatik". Klingt seltsam, ist aber so, genauer: Ein Psycho(plasma)therapeut (massiv und flüssig zugleich: Oliver Reed) redet sich zur Problembeziehungsperson des Patienten und dieser darf endlich alles äußern, was geäußert werden muss. Dass dies nicht beim Verbalen bleiben kann, diktiert uns die Erfahrung mit dem Regisseur - inklusive einer feinen Reminiszenz an Roegs Wenn die Gondeln Trauer tragen (traue niemals einem roten Regenmantel!). Der Horror erwacht langsam, während ein Mann seine Tochter nicht an seine eingewiesene Frau (beängstigend: Samantha Eggar) verlieren will („I've said this ad nauseam, but The Brood was my version of Kramer Vs Kramer."), manifestiert sich in blutigen Ausbrüchen und findet in der finalen Szene zu einem schonungslos spannenden Höhepunkt, welcher perfekt ist, weil hier jedes Wort die brutale Wendung provozieren kann. Am Ende sind wir um eine Erfahrung reicher: Wenn wir unseren Hass rauslassen, ist er nicht verschwunden - er wird zu Fleisch und nimmt sich Fleisch. Barg der Blick in die Zukunft in Shivers noch eine verrückte Hoffnung in sich, bietet er hier nur noch das Grauen - welches entfremdet gezeigt worden mag, aber doch ganz alltäglich ist. 
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- Ich musste zugegeben kurz an Loriots "Pneumatische Plastologie" denken; hat mit dem Film aber natürlich nichts zu tun.
Weiterschauen: Possession (Zulawski)

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