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Freitag, 31. Januar 2014

Eine Frau, von der man spricht


Uwasa no onna
Japan 1954
Regie: Kenji Mizoguchi
Darsteller: Kinuyo Tanaka, Yoshiko Kuga, Tomoemon Otani u.a.

Yukiko ist nicht gut zu sprechen auf ihre Mutter: Diese hat zwar für ihre gute Bildung gesorgt, allerdings mit dem Geld aus dem familieneigenen Bordell. Die Last, nur dank fremder Prostitution sozial aufgestiegen zu sein, nagt an ihrem Gewissen - und der junge Arzt Matoba an ihren Gefühlen. Doch auf diesen hat auch die Mutter bereits Auge und Hoffnung gelegt - und wie sagt man so oft: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Kenji Mizoguchi widmet sich (wieder einmal) Frauen mit teils abseitigen Professionen und zieht vor dem Hintergrund eines geschäftigen Geishahauses eine verzwickte Mutter-Tochter-Falle auf, die durch einen Dritten aus- wie gelöst wird. Eine Frau, von der man spricht fängt dort an, wo Die Festmusik von Gion vor einem Jahr aufgehört hat: In einer Welt, in der "Geisha" und "Prostituierte" Synonyme geworden sind. Da kann Yukiko sich noch so laut über die Ungerechtigkeit, die sie selbst als Bevorteilte spürt, aufregen: Erst nähert sie sich den Menschen dahinter, dann, unvermeidlich, dem System, nachdem die Liebe sie ein zweites Mal fallen lässt. Und währenddessen stellt sich ihre Mutter als die titelgebende Frau, von der man spricht heraus, wenn ihr die Gesichtszüge entgleiten, als sie einer No-Theater-Komödie beiwohnen muss, in der die Liebeslust einer alten Frau als Lachnummer und Lächerlichkeit präsentiert wird. Eine heikle Situation baut sich auf, aber nichts rauft Menschen mehr zusammen als ein gemeinsamer Feind. Am Ende scheint alles wieder heil und wäre es auch, hinge die bestätigte Ausweglosigkeit nicht so bleiern drüber.

"You know, in some ways, life is all about suffering, but you have to learn to live with it." - "...A strange feeling came over me, when I sat at reception today. In a way, I felt like I'd been sitting there all my life. And I felt that I could happily sit there for the rest of my life, too." - "You sat there from the moment you were inside my tomb."

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- Einer von drei (!) Filmen von Mizoguchi, die 1954 erschienen sind (Sansho Dayu und Chikamatsu monogatari kamen im selben Jahr raus) - Respekt für das Arbeitstempo (2).

- Dürfte das erste Mal sein, dass Mizoguchi mit eingebauten (No-)Theaterszenen gearbeitet hat. Dass es auch Komödien in dieser Form gab, ist logisch, war mir aber neu (und nicht unbedingt mein Humor). Dafür sind die Szenen immerhin untertitelt (shame on Criterion's Kagemusha).
- Ich denke gerade auch an "Viele, die eine Ahnung haben von ihren Möglichkeiten und ihren Bedürfnissen und trotzdem das herrschende System in ihrem Kopf akzeptieren durch ihre Taten und es somit festigen und durchaus bestätigen", habe den entsprechenden Film zwar noch nicht gesehen, der Satz passt aber um eine Ecke.
Weiterschauen: Die Festmusik von Gion (und alles Weitere von Mizoguchi), Die Reifeprüfung (aus der Sicht des Mannes ist's wohl einfacher)


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Samstag, 25. Januar 2014

Die Legende vom Meister der Rollbilder


Chikamatsu monogatari
Japan 1954
Regie: Kenji Mizoguchi
Darsteller: Kazuo Hasegawa, Kyôko Kagawa, Eitarô Shindô, Yôko Minamido u.a.

Eine Tragödie, wie man sie definiert. Ein reicher Mann, eine unterdrückte Frau, ein verschuldeter Bruder, ein fleißiger Bediensteter, eine verliebte Dienerin. Eine halbe Stunde und das soziale Gefüge scheitert an jedem noch so kleinen Bruch, Liebe, Wolllust, Loyalität, Eifersucht und Gier treiben die unglücklich Verheiratete und den unglücklich Verliebten aus der Gesellschaft und sie kommen dort an, wo sie nur in ihren eigenen Augen noch (oder jetzt erst?) Menschen sind. "Wäre sie doch besser gestorben", sagen dagegen die anderen: In dieser Welt ist man besser zerfallen als gefallen. Man glaubt es kaum, wie spannend dieser Film zuweilen ist, wenn er in der ersten halben Stunde ein unglaublich menschliches Untergangsszenario beschwört, aber Kenji Mizoguchi bleibt weiterhin ein Garant für Qualität und Überraschungen. Und während die Ausgestoßenen noch ineinander zu fliehen versuchen, werden sie von den Mächtigen dieser Welt bereits wieder als Mittel zum Zweck missbraucht - der Fall des einen ist auch immer der Aufstieg eines anderen. Irgendwann scheint es zu Ende, manche feiern bereits eine positive Bilanz einer verborgenen Gefühlsodyssee - doch die Liebe ist stark wie der Tod und die Wahrheit ist noch stärker. Gerechtigkeit mit Kollateralschaden, aber: Man habe sie ja noch nie so glücklich gesehen, sagt eine Frau aus der Menge, als die lange zuvor angekündigte Schlusszeremonie abläuft - und wir wissen, dass sie recht hat.

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- Einer von drei (!) Filmen von Mizoguchi, die 1954 erschienen sind (Sansho Dayu und Uwasa no onna kamen im selben Jahr raus) - Respekt für das Arbeitstempo.
- Apropos Arbeitstempo: Da muss ich direkt an Fassbinder denken - die beiden Regisseure verbindet auch eine große Hingabe an Frauenfiguren in Filmen (beides darf man heutzutage öfters vermissen).
- Es heißt, Mizoguchi hätte sich hier vergleichsweise wenig Mühe gegeben - hätte ich definitiv nicht bemerkt.
- Basiert auf einem Puppentheaterstück von Chikamatsu Monzaemon anno 1715 (der gute Mann gilt als der erste, der literarisch wertvolle Puppentheaterstücke in Japan verfasste). Weiterschauen: Alles weitere von Mizoguchi (ich empfehle sehr die LATE MIZOGUCHI-Box von Masters of Cinema; gibt's mittlerweile auch als Blu-ray-Ausgabe)


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Montag, 20. Januar 2014

Shivers


Shivers
Kanada 1975
Regie und Drehbuch: David Cronenberg
Darsteller: Fred Doederlin, Paul Hampton, Lynn Lowry, Barbara Steele u.a.

Wahrscheinlich das Sinnlichste, was jemals aus dem klassischen Infizierten-Thema geflochten wurde. David Cronenbergs Kinofilmdebüt beschränkt sich örtlich auf ein einziges Gebäude, in dem versucht wird, das Wesen des Menschen auf seinen sexuellen Trieb zu beschränken - oder auf diesen auszuweiten? Man kann hier fast schon den Ruf nach dem neuen Fleisch hören, man kann es sogar sehen, wie es versucht, aus dem eigenen Bauch auszubrechen (und damit den Body-Horror von Alien vorwegnimmt). Die Inszenierung kokettiert hier und da mit dem Trashigen, aber der grandiose Schnitt enttarnt sie, indem er die Horrorszenen zugunsten neuer Perspektiven unterbricht und somit nicht bloß durch die Epidemieausbreitung, sondern zugleich auch durch die Gesellschaft schneidet.

In der Zwischenzeit erscheinen zwei interessante Zitate im Hintergrund: "Sex is the invention of a clever venereal disease." sowie William Blakes "The path of excess leads to the palace of wisdom". Ob man eines davon als Leitspruch für den Film nimmt (oder gar beide zugleich?), bleibt dem Betrachter überlassen. Wir mögen die Figuren nur kurz begleitet haben, aber doch stets lang genug, um einen Ahnung von ihren Gefühlen, Beziehungen und Wünschen bekommen zu haben. Und weil sie sich anschließend nicht wortwörtlich, sondern sexuell verzehren, und im Finale das Bildnis einer Taufe erwecken, mag der Horror einer gewissen Ehrfurcht weichen: "Long live the new flesh!", das ist es doch irgendwie immer gewesen, im Guten wie im Schlechten. Das Ende ist so wahnsinnig wie logisch wie perfekt und verspricht vieles - heute wissen wir, dass es auch eingelöst worden ist.
 

"Roger, I had a very disturbing dream last night. In this dream I found myself making love to a strange man. Only I'm having trouble you see, because he's old... and dying... and he smells bad, and I find him repulsive. But then he tells me that everything is erotic, that everything is sexual. You know what I mean? He tells me that even old flesh is erotic flesh. That disease is the love of two alien kinds of creatures for each other. That even dying is an act of eroticism. That talking is sexual. That breathing is sexual. That even to physically exist is sexual. And I believe him, and we make love beautifully."

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- Cronenberg wollte dem Film ursprünglich den sehr direkten Titel Orgy of the Blood Parasites geben, die Produzenten konnten ihn aber doch von einem etwas mainstreamigeren Titel überzeugen.