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Dienstag, 5. November 2013

Sans Soleil


Sans Soleil
Frankreich 1983
Regie und Drehbuch: Chris Marker

Eine Reise. Eine Zeitreise, eine Weltreise. Eine Menschenreise. Müsste ich ein einziges Wort wählen, um dieses Werk zu beschreiben, dieses Wort wäre "Sehnsucht". Sehnsucht gar nicht so sehr nach einem Ort oder einer bestimmten Zeit, nicht nach einem bestimmten Erlebnis, vielmehr Sehnsucht nach der Fähigkeit, aus dem Blick auf die Welt ein Gefühl, einen Gedanken zu ziehen, der sich ewig anfühlt. Sans Soleil schafft vieles - Rausch, Faszination, Schönheit - vor allem aber dieses Gefühl, etwas Ewiges, etwas Unzerstörbares bekommen zu haben. Sei es ein Blick, sei es ein Gedanke, sei es eine Eingebung, ein Landschaft, ein Mensch oder ein Menschenstrom. Ein Stück einer fernen Kultur, ein Moment eines fremden Lebens. Ich fürchte, ich verstehe den Titel nicht ganz. Ohne Sonne. Ich habe selten etwas so Warmes gesehen. Ich möchte "Erleuchtetes" sagen, aber es klingt falsch, obwohl es richtig sein müsste. Erleuchtung als Erkenntnis dieser Menschenwelt. Eigentlich sind Worte hierzu überflüssig, zu viele Wörter, zu viele Bilder, zu viele Impressionen, aber man kann Hoffnung schaffen für eine Reise. Eine weite Reise, die uns doch zurück in das Hier und Jetzt führt, vielleicht mit einem neuen Blick, was viel verlangt wäre, aber was, wenn nicht Kunst? Denn auch das Leben ist eine Kunstform - wahrscheinlich die schönste. 

10

Dienstag, 27. August 2013

Spring Breakers


Spring Breakers
USA 2012
Regie: Harmony Korine
Darsteller: James Franco, Ashley Benson, Vanessa Hudgens, Selena Gomez, Rachel Korine u.a.

Es ist langweilig in der Schule. Es ist langweilig im Kreis der Gemeinde. Brich den Alltag, brich den Frühling. Sei frei. Nimm dir deine Freiheit - zur Not von anderen. Schritt 1: Wasserpistolen. Zwei Minuten Fahrt und die Schlüssel zum Paradies. So einfach, so schön. Glaube kommt mit. We've seen some beautiful things here. Party und Exzess 24/7. Zwei Minuten Eskalation und die Schlüssel zur permanenten Eskalation. You wanna die tonight? Selbstfindung geht auch in die andere Richtung. Vor allem, wenn man gefunden wird, wenn man im Käfig sitzt. You been doing a lot of praying on this trip for your girlfriends? I was just thinking maybe you did all that praying and I'm the answer to your prayers. Glaube glaubt nicht. Ein Blick zurück: Es ist schön im Kreis der Gemeinde. Da waren's nur noch drei.  



Scarface on repeat - constantly, y'all! Man ist nie so cool, wie man sich gibt. Wenn du leben willst, musst du lutschen. You're my motherfucking soulmates. Manche führen, manche folgen. Schritt 2: Geladene Pistolen. Jetzt geht der Spaß los. Ein Schritt weiter zum Traum.  

Everytime I try to fly I fall / Without my wings, I feel so small / I guess I need you baby 
So viel Spaß. So viel Hass. He used to be my best friend. Now he's an enemy. Wie konnte es nur dazu kommen. Die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit ist ein Schuss. Da waren's nur noch zwei. Sicherheit oder Konsequenz? You're fucking scared, aren't you? Scaredy pants. Manche führen, manche folgen.

Schritt 3: Feuernde Pistolen. Seems like a dream. Ein langer Weg, aber: I think we found ourselves here. Angekommen, dort, wo man immer hinwollte, in einer Welt aus Neonfarben und Patronenhülsen. Scarface mit Perspektivwechsel. Man kann nicht ewig bleiben. And I'm gonna do better now. I'm gonna be the best I can be. Nur einer kann es. Zwei letzte Küsse, aus dem Paradies über den Vorhof der Hölle zurück ins ewige Paradies. Spring break. Spring break. Spring break forever.


9

Samstag, 20. Juli 2013

The Grandmaster


Yi dai zong shi
Hongkong 2013
Regie: Wong Kar-Wai
Darsteller: Tony Leung Chiu Wai, Ziyi Zhang, Chen Chang u.a.


Kampf ist Ästhetik. Ästhetik ist Stimmung. Stimmung ist Kino. Wong Kar-Wai tränkt den Kung-Fu-Film in seine gewohnte Melancholie und schafft damit ein Werk über den Kampf als Kultur, nicht als Vernichtungstechnik. Was nicht bedeuten soll, dass es keine Scherben gibt: Selten standen sich gebrochene Knochen und inszenatorische Sinnlichkeit so nahe. Aber das Ziel, so scheint es, liegt im Bewahren. Die kurzen Weisheiten zwischendurch definieren die Standpunkte, die stillen Augenblicke die Gefühle hinter den Figuren. Dass die Geschichte oftmals bruchstückartig verläuft, bedeutet nicht, wie manche annehmen mögen, dass die emotionale Ebene leidet - man muss sie nur schneller greifen. Die Zeitlupen mögen dem helfen. The Grandmaster verweigert sich zumeist einer klassischen Biographiestruktur, trägt vielmehr einzelne Stimmungen und Situationen zu einem Gesamterlebnis zusammen, welches man, wie bei Wong Kar-Wai zu erwarten wäre, mitfühlen sollte. (Die tollen Darsteller tun alles, um diesen Zugang zu erleichtern) Und das Auge isst bekanntlich mit, in diesem Falle gibt es für dieses einen wahren Festschmaus. Ein wenig erinnert die Inszenierung der Action (deren Schönheit man kaum mit dem Begriff beschmutzen möchte) in ihrer Zerstückelung in Einzelbewegungen fast an Snyders Man of Steel, was eine gewisse Ironie birgt - aber vielleicht habe ich da auch um die falsche Ecke gedacht (eher: wahrgenommen). 

Als Ip Man und Gong Er miteinander (nicht gegeneinander!) kämpfen, hält die Zeit einmal kurz an, wenn sie in einem Seitwärtssalto mit ihren Lippen ganz nah an den seinen vorbeischwebt. Man könnte meinen, die beiden lächeln, als sie sich in diesem Moment ansehen. Vielleicht tun sie es auch die ganze Zeit. Kampf kann auch Liebe bedeuten. Na wenn man das nicht von dem Regisseur erwartet hätte. 

8

Dienstag, 25. Juni 2013

Arrietty - Die wundersame Welt der Borger


Kari-gurashi no Arietti
Japan 2010
Regie: Hiromasa Yonebayashi


Das Schönste an diesem Film - an vielen Ghibli-Werken - ist eigentlich die Art, wie diese leicht fremde Welt dargestellt wird. Jede Umgebung, jede Räumlichkeit ist mit einer Detailfülle gestaltet, wie man sie kaum in anderen Animationsfilmen wiederfindet. Die 3D-animierten Blockbuster von Pixar und Co. bieten sicherlich auch reichhaltige Bilderwelten mit zig Details, aber es ist die Art, wie mit diesen umgegangen wird, die zum Unterschied führt. Wo im Westen die visuell üppigste Kulisse sich der permanenten Reizüberforderung hingibt und sehr gerne als Kollateralschaden endet, ist in Arrietty (mal wieder) jedes kleine Teil der Welt eben - ein Teil dieser Welt. Von winzigem Geschirr über rostige Nägel und bis hin zu einzelnen Grashalmen können wir jedes Objekt anfassen, uns an jede Wand lehnen, spüren das Klirren der Tassen, den Hauch des Windes, als wäre diese Märchenwelt nicht gezeichnet, sondern real und wir mittendrin. Am Ende sitzt dieser Eindruck gar über der schönen und ruhigen Geschichte, über den witzigen sexuellen Anspielungen in der Natur, über dem Gefühl für das Märchenhafte, was wir zwischen den Diehlen vorfinden möchte. Es ist der Eindruck, tatsächlich dort gewesen zu sein, den man fast mehr auf der Haut als unter dieser spürt. Und das ist doch mit das Schönste, was ein Film einem geben kann.

8


Sonntag, 16. Juni 2013

The Binding of Isaac


The Binding of Isaac
The Binding of Isaac: Wrath of the Lamb
2011 - PC
Entwickler: Edmund McMillen, Florian Himsl
Publisher: Valve

Sicherlich verspätet, aber es hat mich erwischt. Ich bin süchtig. Ich schaue auf die Uhr und merke, dass ich wieder seit mehreren Stunden nichts gemacht habe, als durch dunkle (Bauch)Höhlen zu rennen und allerlei Gesindel wie Würmer, Spinnen, Zombies und gar Satan höchstpersönlich zu schlachten. Und mich von ihnen schlachten zu lassen. Zum Vergleich: Mass Effect 2 habe ich letztes Jahr so intensiv gespielt wie nur möglich, jeden einzelnen Planeten ausgesagt wie ein Vampir seine Jungfrauen, jede Quest erledigt, jeden Gegner erschossen. 42 Spielstunden insgesamt. The Binding of Isaac habe ich vor wenigen Wochen entdeckt und seitdem permanent zwischen Uni, Freundin und wieder Uni eingeschoben. Oder auch stattdessen. Meine bessere Hälfte sagt gerade ich soll schreiben, es seie das beste Spiel, wenn man eine Beziehung zerstören möchte. Besorgnisserregende 71 Stunden so weit, davon 59 in den letzten zwei Wochen. Ich will nicht daran denken, wie viele Meisterwerke der Literatur und des Films ich in dieser Zeit hätte lesen und schauen können. Mein riesiger Stapel an ungeschauten DVDs und Blu-Rays wäre wohl zur Hälfte entschlankt worden, hätte ich nicht dieses Spiel gespielt. The Binding of Dimi. Ein schwarzes Loch.


Faszinierend, wie ein Spiel, was man immer und immer wieder von vorne starten muss, für so viel Langzeitmotivation sorgen kann. Natürlich verändert es sich, besser: erweitert sich mit fortwährenden Erfolgen des Spielers selbst, neue Waffen, neue Gegenstände, neue Fähigkeiten, neue Spielfiguren. Zum Teil eher Fluch als Segen. Natürlich sind Bombengeschosse eine feine Sache. Weniger fein, wenn man in eine Ecke gedrängt wird oder die Gegner einem einfach nicht von den Fersen weichen, dann jagt man sich schnell selbst in die Luft. Natürlich sind neue Figuren toll. Besonders wenn sie mit weniger Lebensenergie starten, langsamer oder schwächer sind. Jede Errungenschaft ist eine neue Herausforderung, jedes Mal, wenn man eine Hürde bewältigt, bekommt man eine neue geschenkt. Je öfter man gewinnt, desto stärker die Gegner. High risk - high reward.

Letzten Endes wird nicht die Spielfigur stärker oder klüger. Nicht sie erhält neue Rüstungen - der Spieler tut es. Mit jedem Tod wird die eigene Haut dicker, mit jedem Ableben kurz vorm Besiegen des (niemals) letzten Gegners bekommt man einen Bonus auf Kampfgeist, erreicht einen neuen Level in Motivation, drückt REPLAY und stürzt sich wieder in die Schlacht, schneller, gewitzter, abgebrühter. Opfert seine letzten Herzen für Laserstrahlen, verkauft seine Seele für den letzten Funken Schaden, irgendwann lernt man, den Händen und Füßen der eigenen Mutter auszuweichen, irgendwann fliegt man durch die Levels, als manifestierter Tod, entstanden aus zu vielen Toden (die Anzahl kann man nachlesen), gestärkt durch das Verbluten, ruchlos durch das Scheitern. Irgendwann ist man ein geflügeltes Überwesen und dann enttäuscht, dass das Spiel schon zu Ende. Aber man kann es ja noch einmal anfangen. From zero to hero. Im Kampf gegen die eigene Mutter, ihr Herz, Satan, irgendwann sich selbst. Vor allem im Kampf gegen seine eigene Zeit. Die könnte man gewiss sinnvoller nutzen. Und ich schwöre mir jedes Mal, dass es das letzte Mal für dieses Wochenede war. Für diesen Tag. Für die nächsten paar Stunden. Aber ich könnte ja wieder und ich tu es auch. Vielleicht, weil nichts so spannend wie die Unvorhersehbarkeit ist. Und weniges so befriedigend, wie das minutenlange perfekte Ausweichen, das mit einem Blutschwall endet. Ist das noch Kultur oder schon eine Droge. Auf jeden Fall ist es eine Meisterleistung, die einfach nicht enden will.

9


Sonntag, 9. Juni 2013

Scarface


Scarface
USA 1983
Regie: Brian de Palma
Darsteller: Al Pacino, Michelle Pfeiffer, Mary Elizabeth Mastrantonio, Robert Loggia, F. Murray Abraham u.a.

Jenseits der Aufstieg-Fall-Geschichte im 80er-Neondschungel Miami und Pacinos Darstellerextremismus ist Scarface, irgendwo, eine Erzählung von der Unmöglichkeit von Prinzipien. "I always tell the truth, even when I lie." Montanas Aufstieg gründet mehr auf seinen Überzeugungen als auf seinen Taten, doch diese sind selten so eindeutig wie er sie in "fuck"-Variationen äußert. Sein Leben ist wie er selbst, ein zweischneidiges Schwert, ein Konglomerat aus Menschenhass und Kinderliebe, Loyalität und Verrat, Familiensorgen und purem Egoismus. Die wahre Leistung des Films ist eigentlich gar nicht sein Kultfaktor, wohl nicht einmal sein Einfluss bis hin zu Vice Citys Spielkulturrevolution in pink und lila, sie liegt darin, dass er funktioniert, obwohl er gar nicht funktionieren kann. Der Protagonist, die Inszenierung, die Dialoge und der Soundtrack bestehen aus nichts als Widersprüchen, die Story wirkt klassisch linear, doch tatsächlich windet sie sich wie eine Schlange, von Extremum zum Extremum, zwischen Verherrlichung und Demontage, Party und Hangover, Nehmen und Verlieren. Aus grotesken femmes (non-)fatales, off-screen-Kettensägenmassakern, von Comedyshows abgelenkten Killern und der Extraportion Geschwisterliebe, aus dem Aufstieg durch Hinrichtung und der Hinrichtung durch Moralreden entsteht im Finale einer, der nicht getötet werden kann, wenn man ihm in die Augen sieht. Nur wer auch nachts eine Sonnenbrille trägt, um von nichts geblendet werden zu können, kann den tötenden und rettenden Schuss abfeuern und auch das nur aus dem Hinterhalt. Dann ist die Geschichte, die keine sein kann, weil sie sich selbst nur widerspricht, zu Ende. A man must provide for his family. Moral, das ist, wenn man moralisch ist. PUSH IT TO THE LIMIT. Man sagt, die Guten sterben jung, doch die Besten sterben nie. Von allem einen Schuss zu einer ekstatischen Mischung, die man nicht verstehen, nur genießen kann.

"As mean as a wolf, as sharp as a tooth
As deep as a bite, as dark as the night
As sweet as a song, as right as a wrong
As long as a road, as ugly as a toad

As pretty as a picture hanging from a fixture
Strong like a family, strong as I wanna be
Bright as day, as light as play
As hard as nails, as grand as a whale

- Everything at once"


Wie Pacino, de Palma und Stone. Unmöglichkeit von Perfektion in Perfektion. THE WORLD IS YOURS ... PAN AMERICAN.
 

9

Sonntag, 26. Mai 2013

Der große Gatsby


The Great Gatsby
USA 2013

Regie: Baz Luhrmann
Darsteller: Leonardo Di Caprio, Tobey Maguire, Carey Mulligan, Joel Adgerton u.a.

Manche Menschen glauben, dass die Zeit zyklisch verläuft, dass sich Geschehenes - immer und immer wieder - wiederholt, dass bestimmte Tendenzen, bestimmte Kulte, bestimmte Entscheidungen in zyklischen Abständen auftreten, welche immer kürzer werden, wie auf einer Spirale, in dessen Mitte - etwas Ungewisses liegt, und wir alle steuern hilflos drauf zu, verdammt, unsere Fehler immer wieder zu begehen, oder doch: Gesegnet, unsere Heldentaten immer wieder zu vollbringen?

Manche Menschen hoffen, dass sich Vergangenheit wiederholt, dass all die Entwicklungen, die seit einer Fehlentscheidung getroffen wurden, nur dazu führen, dass diese, nach Jahren, wieder behoben wird, dass das Glück, welches einem damals entging, wieder an einem vorbeischwebt und man es dieses Mal auch greifen kann. Ihre Hoffnungen können im Stillen getragen werden, doch können sie auch ausbrechen, eskalieren, so sehr, dass sie auch andere Menschen mitreißen, die, unbewusst der Gründe der Eskalation, der sie sich hingeben, jene noch weiter nach oben treiben.

Manchmal wiederholt sich Vergangenes, findet Jahrzehnte, Jahrhunderte später wieder statt, in anderen Tönen und doch mit denselben Gefühlen - Empfindungen - Einstellungen. Man kann es erkennen, wenn man die Zeitebenen übereinander legt und feststellt, dass die Formen dieselben sind, dass das Heute auch ein Gestern gewesen ist, dass unsere Gegenwart in manchen Aspekten unsere Vergangenheit und unsere Zukunft ist. Dann können wir durch die ganze Menschheitsgeschichte durch - saufen, tanzen, feiern, bis die Welt von unserem Gegröle auseinanderbricht.

Doch manchmal ist Vergangenheit tatsächlich - Vergangenheit, und nichts wird diese wieder aufwecken können, egal, wie sehr wir uns anstrengen, egal, ob wir die Welt in Prunk ersaufen lassen, egal, ob wir zu Legenden werden, egal, ob wir Sekunde für Sekunde hoffen und alles unser Tun nur diesem einen vergangenem Moment widmen, um ihn wieder greifen zu können. Dann können wir schreien, die Welt um uns zerreißen, alle mitsamt sich selbst verfluchen - bis uns der eigene Fluch trifft.


7

Freitag, 17. Mai 2013

Life in a Day


Life in a Day
USA 2011
Regie: Kevin Macdonald u.a.

Eigentlich DER Film der "Seht her, ich lebe auch! liken und kommentieren, please :)"-Generation.
Schaut her, der wacht gerade auf, voll ulkig und so.
Und auch beim Pinkeln bleibt die Kamera an.
Und wenn ich und mein Sohn der toten Mutter "Hallo" sagen (im Fischaugenobjektiv, damit die Wohnung noch beengter aussieht als sonst - MIKROkosmos, baby!).
Essen und dann auf die Arbeit und das in einer Egoperspektive zu Dingen, die du selbst jeden Tag siehst.
Ich zeige, dass ich glücklich bin, keine Angst davor haben zu müssen, dass meine Frau Krebs bekommt - weil sie ihn schon hat.
Und ich zeige, wie ich meiner Großmutter erzähle, dass ich Männer doch mehr mag als Frauen - ach Omi, "Homosexuelle" sagt doch kein Mensch mehr!
Und ich zeige, wie sich all meine Hoffnungen auf ein zweites Date in Nichts auflösen - aber hey, ich kann noch lächeln, also war und ist es doch nicht so schlimm.
Und ich dance auf der LoveParade, weil es! geil! ist! und meine Kamera läuft auch dann weiter, wenn alle laufen und keinen Platz dafür haben.
Und ich fahre mit dem Fahrrad durch die Welt, damit Korea irgendwann EIN Land ist.
Und währenddessen werden irgendwo Tiere geschlachtet und Familien leben mit neun Personen in fünf Quadratmetern und wenn sich dir der Magen umdreht - gut so, das gehört alles dazu!
Weil Film nicht nur Kunst, sondern auch Kommunikationsmittel ist.
Weil wir jedes Mal hoffen, dass etwas Besonderes passiert, und dann merken, dass alleine diese Hoffnung besonders genug ist, um uns durch die Tage zu tragen.
Weil wir wollen, dass jedes Fünkchen unseres Lebens von jemand anderem beachtet wird.
Weil wir glauben, dass diese Fünkchen es wert sind.
Und weil sie es tatsächlich sind. 


Man könnte sich dabei fast wie ein Voyer fühlen, aber hey: Das ist doch alles freiwillig.
Und so wunderbar echt.
Eigentlich DER Film für kleine sentimentale Schneuznasen wie mich.
Aber auch: uneingeschränkt empfehlenswert.
Weil wir leben. 


8

Mittwoch, 15. Mai 2013

Die dritte Generation


Die dritte Generation
Deutschland 1979
Regie: Rainer Werner Fassbinder
Darsteller: Eddie Constantine, Hanna Schygulla, Volker Spengler, Margit Carstensen, Günther Kaufmann, Udo Kier, Vitus Zeplichal, Bulle Ogier u.a.

Es gibt Filme, bei denen reicht ein Satz aus der Storybeschreibung oder auch ein winziges Zitat aus dem Drehbuch, um die Erwartungen in ungeahnte Höhen schellen zu lassen.
Und wenn man sie zu schauen beginnt und im letzten Moment seine absurden Erwartungen zurückstellt, um nicht doch enttäuscht zu werden, und einen Schokocroissant in die Hand nimmt, um dem erwarteten Ungeheuer mit der nötigen Gelassenheit gegenübertreten zu können, da macht der Film etwas, was einen den Croissant auf halbem Wege zum Mund in der Luft stecken bleiben lässt.
Und zieht es nicht einmal die gesamte Laufzeit durch, sondern schafft es, sich zunehmend zu steigern, bis seine Absurdität die der vorangegangenen Hoffnung erreicht, sie sogar noch um Meilen übertrifft.



Es beginnt mit pulsierenden Anfangscredits, auf die Gaspar Noé neidisch sein könnte, und es endet, wie ein guter Lynch-Film endet: Im (scheinbar!) absoluten Chaos, inhaltlich wie stilistisch wie inszenatorisch, und doch einer eigenen, bitterbösen und furchtbar ehrlichen Logik folgend, welche, ist man in der Lage, sie zu begreifen, einem für kurze Zeit und mit langer Nachwirkung den verrotetten Kern der Welt vor Augen führt.
Dazwischen liegt Gott alias Fassbinder und tut nichts anderes, als den Zuschauer auf der einen Seite zu verwöhnen und ihm auf der anderen Seite die Sichtung zur Hölle im Bildschirm zu machen.
Da gibt es großartige Darsteller - Volker Spengler und Margit Carstensen und Vitus Zeplichal und die kälteste und schönste Frau, die je von einer Kamera betrachtet werden durfte (Hanna Schygulla) - und es gibt Szenen, in denen man durch eben diese vor den Kopf gestoßen wird, durch wildes Geschreie und niemals nachvollziehbare Ausrufe.
Und es gibt scharfsinnige Dialoge, die in die Unendlichkeit scheinen - welche durch die permanente Kakofonie aus Radio- und Fernsehansagen, verstörend-widerliche Hintergrundgeräusche aus dem Nichts und plötzlich auftauchende Musikuntermalung kaum zu hören sind und keine Konzentration der Welt kann einem aus dem überbrodelnden akustischen Chaos befreien.
Ein Chaos, welches nicht Selbstzweck, sondern vielmehr Blick in eine Zukunft, welche vor Informationsübergewicht nicht mehr dazu in der Lage ist, Informationen zu filtern. (wer Chuck Palahniuks Lullaby gelesen hat, weiß, was ich meine)



Es gibt Anklänge an den Film Noir, wundervoll melancholisch, und Brüche, mittendrin, Ausbrüche unbarmherziger, ekelerregender, verstörender Gewalt, wie man sie niemals erwartet hätte.
Und doch bleibt Die dritte Generation in ihrem Herzen, wie schon zu Beginn angekündigt, "Eine Komödie in 6 Teilen um Gesellschaftsspiele voll Spannung, Erregung und Logik, Grausamkeit und Wahnsinn, ähnlich den Märchen, die man Kindern erzählt, ihr Leben zum Tod ertragen zu helfen".


Eine Satire als Tragödie, die nichts anderes tut, als sich selbst auszulachen.


Terroristen als Farce auf zwei Beinen, die sich bei ihren sinnlosen Missionen in die Hose pinkeln vor Angst, die sich als Zirkusleute verkleiden, um dem großen und grausamen Zirkus BRD gerecht zu werden, die nichts wissen, aber alles tun, um...um...um...
Und im letzten Bild, im letzen Lächeln, dort steckt trotz all der Anarchie, welche am Schluss einem Gehirnmassaker gleicht, trotz all der Ironie und des Sarkasmus, in diesem Lächeln steckt doch mehr an politischem und medialem Weltschmerz, als Network und Brazil zusammen beinhalten. 


In Alan Moores From Hell wird angedeutet, dass Jack the Ripper das 20. Jahrhundert geboren hat.
Nach Fassbinders vielleicht größtem Zuschauerfeind "Die dritte Generation" möchte man behaupten, dass die RAF und ihre Möchtegern-Nachfolger das 21. Jahrhundert geboren haben.
Wer das Vorwissen aus der ersten Unterhaltung von Peter Lurz und August - "...da hat das Kapital den Terrorismus erfunden, um den Staat zu zwingen, es besser zu schützen..." - während der gesamten Sichtung im Hinterkopf behält, wird mir vielleicht zustimmen.


Wahrhaftig ein Mephisto von einem Film. Fassbinder selbst sagte dazu: "Ich werfe keine Bomben, ich mache Filme." Fragt sich nur, was davon schmerzvoller ist. 

10

Dienstag, 14. Mai 2013

Ich will doch nur, dass ihr mich liebt


Ich will doch nur, dass ihr mich liebt
Deutschland 1976
Regie: Rainer Werner Fassbinder
Darsteller: Vitus Zeplichal, Elke Aberle, Alexander Allerson, Erni Mangold, Johanna Hofer u.a.

Eingefangen auf zwei Seiten, visuell durch die Fassbinder-typischen Spiegelungen und trennende Schnitte in den einzelnen Einstellungen selbst, emotional durch eine dominante Mutter, deren Liebe unmöglich zu erkämpfen, und einen alles andere als besseren Vater, kämpft sich Peter (perfekt besetzt und vollends überzeugend: Vitus Zeplichal) aus einem glücklosen Leben in ein Leben, wo er wenigstens anderen Glück schenken kann. Natürlich erfolglos: Ein mit eigenen Händen erbautes Haus für seine Eltern bringt nicht die erhoffte Belohnung, und die Geschenke für seine Frau haben keine gute Beziehung zu seinem Budget. Ein Teufelskreis aus Komplexen, Sorgen und Überarbeitung wird langsam zu einer teuflischen Spirale, die in der Mitte ein grausames und doch nachvollziehbares Ende bereithält. 

Basierend auf einer wahren Geschichte (!) - inklusive originaler Verhörprotokolle (!) - malt Fassbinder einen brutalerweise zu empathischen 4:3-BRD-Fast-Mittelschicht-Albtraum (Drehzeit: 25 Tage!) in kaum halbmöblierten Räumen und verregneten und verweinten Straßen und "freut" sich dabei über die Parallelen zu seinem eigenen Leben - oft kritisiert, selten verstanden, aber: "Ich will doch nur, dass ihr mich liebt". Verzweifelt, fatalistisch und fatal - unbehagliches und (fast) zu Tränen rührendes Kino von Menschen über Menschen für Menschen.
Und nein, das kann man eben nicht über jeden Film sagen, damals nicht und heute schon gar nicht. 


8

Jackie Brown


Jackie Brown
USA 1997
Regie: Quentin Tarantino
Darsteller: Pam Grier, Samuel L. Jackson, Robert Forster, Robert de Niro, Bridget Fonda, Michael Keaton, Chris Tucker u.a.

Tarantinos Vorliebe für lange Einstellungen und sein Riecher für eine perfekte Besetzung kreieren aus der verwobenen Krimistory lupenreines Darstellerkino, in welchem (fast) jeder Beteiligte die Möglichkeit(en) erhält, seiner Figur die nötigen Nuancen und den nötigen Charakter zu verleihen. Es wird - wie gewohnt - viel geredet und doch sagen die Gesichter manchmal und zum Schluss immer öfter mehr als die Worte - Emotionen sind hier nie Behauptung und nur in den seltensten Fällen Teil der Dialoge, sondern in der von der Kamera präzise eingefangenen Mimik vorzufinden (was auch das Ende, wenn Pam Grier ihre Lippen synchron zu "Across the 110th Street" bewegt, zu einem der Highlights des Films macht). Die in Echtzeit inszenierte, dreifach präsentierte Einkaufszentrum-Szene ist demnach logischerweise nicht nur ein Ergebnis des (im Voraus geschickterweise nie vollständig erklärten) Plans, sondern das Ende einer lange Beziehungs- und Reaktionskette, mit ihren eigenen kleinen und großen Eskalationen. Ein (zu Beginn etwas zu) gemächlich erzählter, weitesgehend subtiler, überraschend menschlicher und reifer Film zum Zurücklehnen und Genießen - und ein früher und scheinbar oft übersehener Beweis dafür, dass Tarantino auch die Kunst der filmischen Zurückhaltung zu beherrschen vermag. Mit maximaler Wirkung, selbstverständlich. 

P.S.: In den Credits taucht am Ende der "THANKS TO"-Reihe die Spalte "Sam Fuller - for EVERYTHING" auf, by the way. 

8

Amer - Die dunkle Seite deiner Träume


Amer
Frankreich/Belgien 2009
Regie: Hélène Cattet, Bruno Fornazi
Darsteller: Marie Bos, Delphine Brual, Harry Cleven, Bianca Maria D'Amato u.a.

Eine wundervolle Zumutung, schmerzhaft in die Länge gezogen und dadurch für den Zuschauer fast so quälend wie für die Protagonistin. Ein morbider, beinahe ekelerregender Alptraum im Auftakt, ein sinnliches Knistern im Mittelteil, wo man jeden Windzug zu spüren glaubt, und eine brutale Eskalation im Schlussteil, die als logische Folge von psychologischer Entwicklung bestimmt funktioniert, aber als entfesselte Hommage an blutige Morde, in schwarzen Handschuhen und mit schwarfen Klingen verübt, mindestens im ersten Moment besser wirkt. Der Soundtrack - mit der Virtuosität eines Tarantino zusammengeklaut - verleiht dem Film gefühlt die Hälfte seines Charakters plus sorgt im Abspann dafür, dass sich das eben Gesehene fest ins Gedächtnis einbrennt. Natürlich ist Amer Style over Content, natürlich ist er viel zu lang, natürlich schreit er in jeder Einstellung "Ich bin Kunst, bitches!" Aber seine Art, sich sowohl der Physis wie auch der Psyche seiner Protagonistin in jeder Sekunde mit einer solch beängstigender Intimität anzunähern, macht ihn zu einem verdammt intensiven Filmerlebnis, welches mächtig auf den Magen schlägt. 

8

Gandu - Wichser


Gandu
Indien 2010

Regie: Kaushik Mukherjee AKA Q
Darsteller: Anubrata Basu, Joyraj Bhattacharya, , Rii u.a.

Quasi der filmgewordene Network-Ausruf "Ihr könnt mich alle am Arsch lecken, ich lass' mir das nicht länger gefallen!" Oder eine Art An Indian Film Natürlich ist es für uns, hier, nicht immer leicht nachzuvollziehen, dass die gewohnt scheinenden Gesten woanders einer Rebellion gleichkommen, aber man kriegt ja schließlich noch die Raptexte ins Gesicht gebrüllt und die Übersetzung grad hinterhergeworfen und dann fußt die latente Wut nicht nur auf der Ereignislosigkeit der trostlosen Bilder in trostlosen Farben. Später soll diese Ereignislosigkeit noch umschwingen, soll ins komplette Gegenteil fließen, als Ausbruch, als Traum vom Ausbruch, als Traum von Karriere, von "etwas werden" in einer Welt, die hier in wenigen Minuten ein besseres Porträt auf den Bildschirm geklotzt bekommt, als es ein verdrehtes Slumdog Millionaire innerhalb seiner ganzen Laufzeit kreieren könnte. Können wir da mitfühlen? Ja, können wir, weil uns die Inszenierung mit ihren Kniffen keine andere Chance lässt und irgendwann, gegen Ende, merkt man: Die Kamera ist ja schon die ganze Zeit leider zu geil. Und dann Gehirnmassage mit Laufschrift, mit Schnittmassaker, mit BÄM! ins Gesicht der vierten Ebene, mit Eskalation, mit Erlösung, mit Rausch, mit plötzlichem Schluss. Gandu ist Kontextkino, klar, ohne den Kontext ein seltsames Ungeheuer, eine Bukkakeparty fürs Gehirn, ein großes "...was war das?!" (während der Sitznachbar grinst und meint "Lustiger Film"), ein Mindfuck in den Grenzen des rappoetischen Postrealismus, aber als ob es hier Grenzen gäbe? Nein, das ist kein Überfilm, kein Meisterwerk, kein absolutes Sontwasauchimmer, aber es ist ETWAS. Etwas Einzigartiges, schwer Fassbares, Unvergessliches, Krasses, Sehenswertes, Weiterempfehlenswertes (für die, die sich an Extremen laben, auch wenn diese Extremen ihnen das Hirn zermartern). Etwas irgendwie Geiles. 

Du willst eine Wertung? Wichs dir doch eine. 

Rango


Rango
USA 2011

Regie: Gore Verbinski
Sprecher (Original): Johnny Depp, Isla Fisher, Abigail Breslin, Ned Beatty, Alfred Molina, Bill Nighy u.a.

"Go to hell!" - "Where do you think I came from?"

Ein grandioser Anfang, eine ausgewogene Mischung aus wahnwitzigem, entfesseltem Slapstick, welcher dem Wort eine gewisse Würde (wieder-)verleiht, feinem Filmzitatwitz und großartigem schwarzen Humor, eine mit Ironie und doch auch mit Überzeugung präsentierte Geschichte und das alles unterlegt (oder doch überstichen?) mit Musik, die Spaß und Coolness stets in eine Symphonie der puren Filmfreude zu vermengen weiß (Grüße an Hans Zimmer). Rango mag mittendrin ein wenig hängen und auch der Showdown hätte zugegeben etwas wilder ausfallen können, aber darüber sehe ich so gerne hinweg, wurde ich doch seit gefühlten Monaten nicht mehr so gut unterhalten. Stellenweise pure awesomeness, die einem Freudestränen in die Augen treibt, doch überraschenderweise hin und wieder mit einem angenehmen Ernst, in einer wundervollen Geschichte quasi um einen Schauspieler, der in seiner verzweifelten Überlebensperformance plötzlich eine Über-Leben-Performance abliefert und dadurch zum Helden wird. Wäre er nicht so heftig, wär's ein toller Kinderfilm (da ist der höher eingestufte Die Legende der Wächter wesentlich zahmer), so ist es ein toller Film, um sich wieder ein wenig wie ein Kind zu fühlen, das eigentlich viel zu brutale Western schaut, und das ganz ohne befürchtete Lächerlichkeiten oder Fremdschämmomente oder aufgesetzte Emotionen. Verbinski hatte ja bereits mit dem unfassbar unterschätzten Pirates of the Caribbean: At World's End bewiesen, dass er dem Mainstreamkino einfach mal so Härte und Surrealismus andrehen kann, aber Rango, Rango ist eine Perle, ein Geschenk, ein wahrer Triumph. Und der Soundtrack erreicht beinahe Perfektion. 

8

Bad Lieutenant


Bad Lieutenant
USA 1992
Regie: Abel Ferrara
Darsteller: Harvey Keitel, Frankie Thorn u.a.

Vielleicht ist das Ganze ja doch ironisch gemeint und Ferrare hat sich nur das Augenzwinkern am Schluss gespart, um den Zuschauer noch mehr in die Irre zu führen, aber das möchte man angesichts Keitels völliger Hingabe seiner gefallenen und stets weiterfallenden Figur nicht glauben. Eines der Werke, die völlig vom Hauptdarsteller getragen werden und dieser ist auch der Grund, wieso Bad Lieutenant nach der Sichtung nicht in Vergessenheit gerät: Keitel unterwirft sich völlig seiner Figur, wird zum willigen Sklaven dessen Wut und Lächerlichkeit. Das ist beeindruckend und hallt nach, aber der Kontext seiner Reise durch die innere Hölle lässt zu wünschen übrig: Hier und da einen Jesus einbauen macht noch keinen religiösen Kontext, ein Satz bezüglich Vergebung macht noch keine Läuterung. Es bleibt der bittere Nachgeschmack, dass der Auslöser reine Behauptung, die Wende reine Posse ist - seitens des Films, nicht des Protagonisten. Denn so stark Keitel den Film führt, so schwach führt der Film ihn, in ein Nichts, dessen Bedeutung zwischen halbherzigen Andeutungen und wenig sinnhaften Ideen begraben bleibt. Schade - und dennoch möchte man von einer Sichtung nicht unbedingt abraten. 

5

Die Festmusik von Gion


Gion Bayashi
Japan 1953
Regie: Kenji Mizoguchi
Darsteller: Ayako Wakao, Seizaburô Kawazu u.a.

"Ihr seid Kunstwerke!" wird den angehenden Geishas zu Beginn des Films von einer alten Frau mit auf ihren Weg gegeben. Ein Weg der Abhängigkeit, das steht von Anfang an fest - dass es letztlich eine körperliche ist und "Geisha" zum edleren Begriff für eine eigentliche Prostituierte verkommt, mag man als Zuschauer schnell befürchten. Die sechszehnjährige Eiko, deren Mutter (selbst eine bekannte Geisha) verstirbt und dessen Vater sich wegen Geldproblemen weigert, sie zu unterstützen, wird diesen moralischen Abstieg im finanziellen Aufstieg auf schmerzhafte Weise erfahren müssen. Auch die ihr freundlich gesinnte Miyoharu kann das kaum verhindern und wenn beide Frauen versuchen, der jeweils anderen in ihrer Lage zu helfen, kann dies nur durch Selbstaufopferung funktionieren. Am Schluss gilt es somit für beide, sich der Situation schweigend anzupassen, um nicht noch tiefer zu fallen. "Dreistigkeit" findet eine filmische Definition in der Rückkehr des Vaters, welcher zwar früher nicht für seine Tochter sorgen wollte, aber davon ausgeht, an ihrem Geld teilhaben zu können. Immerhin weiß sich Eiko zu wehren, als sie zum ersten Mal zum Sex genötigt wird: Ein kurzer, angenehm schmerzvoller Rachemoment in einer Welt, wo Frauen die soziale Pyramide nur nackt und ergeben und selbst dann nur wenige Stufen nach oben erklimmen können. Ein ruhiger, trauriger und an einigen Stellen wütend machender Film, der zumindestens einer Freude beherbergt: Fünf Werke dieses tollen Regisseurs warten noch auf eine Sichtung und ich rede nur von denen in meinem "Besitz". 


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- Mizoguchi porträtierte hiermit die tatsächliche Entwicklung des Geishabegriffs im Japan der 50er. Der gute Mann hatte generell viel Kontakt zu den Vertreterinnen des Gewerbes und ließ sie gerne ihm ihre Erfahrungen berichten. 

7

Montag, 13. Mai 2013

Ugetsu - Erzählungen unter dem Regenmond


Ugetsu Monogatari
Japan 1953
Regie: Kenji Mizoguchi
Darsteller: Masayuki Mori, Machiko Kuô, Kinuyo Tanaka u.a.

Es beginnt mit großen Ambitionen, welche schnell von Kriegswirren überrollt werden, und die Bilder des ländlichen Chaos sind die ersten, die sich einprägen (später sollen noch andere Einstellungen folgen, die sich unerbittlich ins Gedächtnis einbrennen). Es folgt Hoffnung, auf Reichtum und sozialen Aufstieg, denn zwei Männer wollen mit dem Verkauf von Krügen und Töpfen ein gutes Geschäft machen: Der eine will endlich ein reicher Mann sein, der andere sich eine Rüstung kaufen und zum Samurai werden. Dass ihre Frauen sie vor den Gefahren warnen, ist ihnen egal, und so siegt hier der menschliche Drang nach Aufstieg mal wieder über die Angst vor dem möglichen Fall. Die Konsequenzen der Taten werden den Männern noch bewusst werden, aber dann wird es hier und da schon zu spät sein...

Ugetsu ist ein unsteter Film, so unstet wie die Geschichten seiner Figuren, doch dies ist nicht als Nachteil zu werten: Der Wechsel zwischen den Stimmungen ist so fließend wie im echten Leben und selbst die übernatürlichen Anklänge werden so bodenständig wie nur möglich serviert - so bodenständig, dass man sie zunächst gar nicht als solche erkennt. Um die Genrewechsel spinnt Mizoguchi zutiefst menschliche, oftmals bedrückende und schmerzhafte Geschichten um (Selbst-)Verführung und Verrat, Verzweiflung und Verfall, Verurteilung und Vergebung. Der Film schreckt nicht vor verstörenden Momenten zurück, einerseits Momenten, in denen den Figuren die Konsequenzen ihres Handelns bewusst werden, andererseits Momenten, welche die Auswirkungen von Krieg zwar kurz, aber abstoßend prägnant in Bilder und Geräusche bannen. Und doch gibt es auch wirklich Passagen voller Schönheit, beinahe hypnotisch, und auch dem Schluss liegt eine gewisse Wärme, eine gewisse Versöhnlichkeit zugrunde. Die letzte Einstellung scheint, nach all den Wirren der letzten Zeit, ganz schlicht und ruhig festzustellen: Was auch passiert, irgendwie müssen wir alle weitermachen. 
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- Gibt's als Teil der Late Mizoguchi-Box von Masters of Cinema (wahlweise auf DVD oder Blu-ray) mit sieben weiteren guten bis großartigen Filmen und dicken Booklets.
Weiterschauen: Rest von Mizoguchis Filmographie (weil zu unbekannt), Kwaidan (Nasaki Kobayashi)

9

Donnerstag, 14. März 2013

Sushi Girl


Sushi Girl
USA 2012
Regie: Kern Saxton
Darsteller: Tony Todd, Mark Hamill, Noah Hathaway u.a.

Ein Tarantino-Nachahmer, welcher Inszenierung, Schauspielerführung und Soundtrack ("Diamonds are forever"!) durchaus beherrscht, aber storytechnisch trotz guter Ansätze seine mögliche Klasse verpasst. Die eigentlich interessante Wendung lässt nicht nur ein halbes Dutzend Fragen zu viel offen, sie nimmt der zuvor gezeigten, deftigen Gewalt jegliche Grundlage und drückt dem Film quasi im Abgang doch den unangenehmen "Torture Porn"-Stempel auf, den man nach Trailer und dem Großteil des Geschehens nicht unbedingt gezückt hätte. Dafür - und damit erlangt der Film letzten Endes doch das gewisse Smarte, was man sich erhofft hat - zieht sie eine interessante Konsequenz aus dem, was in den meisten (ach so coolen) Gangsterfilmen für gewöhnlich niemals beachtet wird. Die Darsteller (tuntig-schmierig-böse-cool: Mark "Luke Skywalker" Hamill, greifbar angepisst: Tony Todd) sind besser als ihre Figuren, die Spannung dafür so dicht wie die Luft in dem einzigen Raum der Handlung (Erinnerungsflashbacks nicht mitgezählt). Letzten Endes kann Sushi Girl seine Existenz berechtigen und wirklich mehr hätte man sich doch kaum erhoffen können. 

6

Dienstag, 5. März 2013

Universal Soldier: Day of Reckoning


Universal Soldier: Day of Reckoning
USA 2012
Regie: John Hyams
Darsteller: Scott Adkins, Jean-Claude Van Damme, Dolph Lundgren

Wie Mr. Wolf einst sagte: "Just because you're a character doesn't mean you have character." Eine Filmfigur bekommt selten einen Charakter. Was sie bekommt, was sie bekommen muss, ist eine Motivation. Motivation erlaubt Tat. Tat evoziert Wirkung. So weit, so simpel. Jeder beliebige reine Actionfilm könnte darauf reduziert werden. Aber Universal Soldier: Day of Reckoning, trotz Titel, trotz Besetzung, trotz Ausgangslage, ist anders. Was John Hyams hier macht ist, diese Motivation als Lüge zu entlarven. Dem Charakter einen Charakter zu geben, indem er ihm seinen Charakter nimmt. Das Leid des Protagonisten ist nur ein Instrument - im Film das der Politik, in der Wirklichkeit das der Produzenten und unserer Erwartungen. Was würde eine Filmfigur, die das erfährt, denken? Was würde sie machen? Und vor allem: Was würde das bringen?
Die Antwort ist vielleicht nicht sonderlich überraschend. Aber sie ist ehrlich - und Ehrlichkeit ist etwas, was Eskapismusfilme, Horrorfilme und - eben - Actionfilme - selten haben. Universal Soldier: Day of Reckoning macht sich keinen Hehl daraus, die aus seinem Titel resultierenden Vorurteile zu ignorieren und die Erwartungen zu missachten. Das ist das Werk einer kühnen Ambition, das nur zu dick aufgetragen erscheint, weil wir es viel dünner erwartet hatten. Inmitten mörderischer Klemptner, wahnsinniger Rebellen und ganz und gar noesker Ausleuchtung kämpft unser Protagonist, dessen Leben zerstört wurde, dagegen, dass ihm diese Zerstörung genommen wird. Denn so nichtig er geschaffen wurde, die Wahrheit macht ihn noch nichtiger. Die Eskalation in diesem Moment ist an emotionaler Kraft kaum zu überbieten, doch dass ihre Konsequenz - wieder einmal - nichtig ist, weiß auch Van Damme. Es gibt kein Ende, nur die Illusion einer Erlösung, für die es nie einen Grund gegeben hat. Was hat man diesen Wesen nur angetan. "Just because you're a character doesn't mean you have character." Man möchte fragen, wieso eigentlich. 


8

Freitag, 4. Januar 2013

Pulp Fiction


Pulp Fiction
USA 1994
Regie: Quentin Tarantino
Darsteller: John Travolta, Samuel L. Jackson, Bruce Willis, Uma Thurman, Ving Rhames u.a.

Definitionen. Ezekiel 25:17 bedeutet: Jemand stirbt. Man braucht keine Pistole, um einen Laden auszurauben, ein Telefon reicht. Standpunkte. Fußmassage gleich Sex, Fußmassage gleich Kackdreck, gar nichts. Das kann man ausdiskutieren. Let's get into character. Wenn man Floskeln zu ernst nimmt, werden Dialoge seltsam und Blut fließt. Kommunikation. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Tanzen ist Platin. Standpunkte. Drive home, jerk off, I'll be a woman soon. Irrtümer. Heroin ungleich Kokain. Am Ende reden wir nicht mehr darüber. Catch up. Bedeutungen. Eine Uhr kann wichtiger als die Freundin und das eigene Leben sein. Our names mean shit. Ein Herz hat, wer aus der Hölle entkommen kann, aber zurückkehrt, um einem Feind zu helfen. Meinungen. Es gibt Wunder, es gibt keine Wunder, was denkst du, Bumm, Platz. Die personifizierte Ordnung. Just because you're a character doesn't mean that you have character. Der Wunsch nach Änderung. Die Prüfung. Einer besteht sie, einer ist bereits tot (was wir womöglich vergessen haben). I'm trying real hard to be the shepherd. Definitionen. Ezekiel 25:17 bedeutet: Jemand lebt.

Mal ganz abgesehen von genialen Dialogen (die mehr sind als hohles Geschwätz!), lebendigen Figuren, grandiosen Darstellern, absurdem Humor, perfekt passendem Soundtrack und einer der schönsten Pärchenszene der Filmgeschichte. Ein Film, welcher sich so weit vom Leben entfernt, dass es dieses wieder erreicht. Und, wie alle Tarantinos, von Sichtung zu Sichtung besser, weil vielschichtiger, tiefer, menschlicher. Tatsächlich, immer noch ein absolutes Meisterwerk.


10