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Mittwoch, 15. August 2012

Kill Bill


KIll Bill
USA 2003/2004
Regie: Quentin Tarantino
Darsteller: Uma Thurman, David Carradine, Michael Madsen, Lucy Liu, Daryl Hannah, Vivica A. Fox, Michael Parks, Gordon Liu

(Der folgende Text bezieht sich sowohl auf Vol. 1 als auch auf Vol. 2 und enthält SPOILER)

Tarantino, seit jeher dafür bekannt, klassische Filmmotive und -aspekte sowohl zu zelebrieren als auch neuzuinterpretieren und zu hinterfragen, tut auch in seinem Racheepos nichts anderes – und dieses mal sogar mit einer klaren Zweiteilung nach der Funktion der einzelnen Abschnitte. Ist Vol. 1 dabei ein Höhepunkt des Abfeierns der Erzähl- und Darstellungsmöglichkeiten des Films, findet das Werk in Vol. 2 nicht nur zu einer beherrschteren Haltung, sondern auch zu gewitzten Spielen mit der Erwartungshaltung des Zuschauers sowie einer überraschend tiefen Bedeutung, welche sich zum Schluss immer deutlicher herauskristallisiert. 

Kill Bill: Vol. 1 ist in seinem Kern nichts anderes als ein Liebesbekenntnis zur filmischen Realität, beziehungsweise zu einer rein filmischen Realität. Dieser Film, inklusive seiner übertriebenen Gewalt, löst sich von jeglichen realen Grenzen – man mag schätzen, in welchem Jahr die Geschichte ungefähr spielen könnte, und natürlich sind die Handlungsorte in unserer Welt verankert, was in ihnen passiert, ist jedoch einer anderen Dimension verschrieben als der unseren. Die Moral der Figuren würde in der Wirklichkeit nicht funktionieren, man wird sie in diesem Film jedoch niemals hinterfragen, weil sie auch gar nicht den Anspruch hat, moralisch zu sein – die Taten der Figuren geschehen nicht, damit über sie gerichtet werden kann, sie dienen (noch) rein dem Selbstzweck. Von Bildkomposition über Soundtrack bis hin zu den (grandiosen) Kampfchoreographien ist Vol. 1 ein Fest, eine pausenlose Zelebrierung des Geschehens, welche nur darauf bedacht ist, das Maximum aus jeder Situation herauszukitzeln. Wenn gekämpft wird, wird es blutig und wuchtig und konsequent, wenn geredet wird, dann in stilisierten, eindeutigen Sätzen, wenn Figuren vorgestellt werden, dann mit prägnanten Aktionen. Bild und Ton vereinen sich immer wieder zu Musikclips von höchster Gänsehautproduktion und die Darsteller machen sich alle Mühe, einen unvergesslich verwegenen Eindruck zu hinterlassen.

Vol. 1 ist auf sofortige Überwältigung aus, was aber nicht heißen soll, dass keine Zeit für ruhigere Momente bleibt (das Gespräch zwischen der Braut und der Tochter von Verdita Green oder die Szenen mit Hattori Hanzo). Diese bleiben aber soweit: Momente, außer beim Schlusskampf, wenn bereits ein Bruch in der Stimmung zu verzeichnen ist. Wo zuvor mit voller physischer Energie und hohem Tempo inszeniert wurde, wird die Szenerie nun verträumt-malerisch, die Stimmung beherrscht, der Kampf zwischen O-Ren Ishii und der Braut findet mehr auf einer psychologischen Ebene statt (der physische Kampf an sich dauert, gerade im Vergleich zum vorangehenden Showdown, welcher seiner Bezeichnung alle Ehre macht, frappierend kurz). Das ist bereits ein Vorausblick auf das, was in Vol. 2 folgen wird, wie auch der letzte Satz des Films: „Is she aware that her daughter is still alive?“ Bislang war die Braut eine reine Killermaschine, welche für ihre Lust auf Rache über zahlreiche Leichen geht, dieser letzte Satz ist jedoch der erste Schritt zu einer Vermenschlichung dieser Figur, der Beginn eines Weges von einer reinen Filmfigur zu einer Persönlichkeit. 


Vol. 2 also. Es ist nicht verwunderlich, dass viele Zuschauer nach dem Gewalt- und Energiefeuerwerk des ersten Teils vom zweiten milde bis sehr enttäuscht waren, doch die Zweiteilung seitens Tarantino hat mehr Sinn, als nur die Laufzeit zu strecken und somit eine längere Geschichte zu erzählen: Nein, diese Zweiteilung erlaubt es ihm, eine vor allen Dingen komplexere Geschichte zu erzählen – eine, welche von der Menschwerdung einer Filmfigur erzählt. Zudem wird das in Vol. 1 konsequent verfolgte Prinzip, alle Versprechen an den Zuschauer mit all der Wucht zu erfüllen, die sich dieser erhofft, umgekehrt: Vol. 2 spielt wieder mit der Erwartungshaltung des Zuschauers, er bricht sogar mit dem grundsätzlichen Konzept der Geschichte (aka „Die Braut bringt alle um, die an dem Massaker an ihrer Hochzeit beteiligt waren“). Es geht nicht mehr bloß um die Racheidee und um deren brutale Ausführung und man erfährt erst gegen Ende, worum es eigentlich geht. Als die Braut schließlich Bill findet, muss sie feststellen, dass ihre Tochter gar nicht gestorben ist, sondern von ihm aufgezogen wurde. In einem Gespräch zwischen den beiden kommt heraus, dass sie aus der Killergruppe ausstieg, sobald sie von ihrer Schwangerschaft erfuhr, um ihrer Tochter eine gefahrenlose Existenz garantieren zu können. Aus der Killermaschine wurde zum Zeitpunkt der Entdeckung eine um das Leben bangende Mutter.

Es ist die Frage nach der eigenen Identität, welche hier gestellt wird – die Braut war stets die eiskalte Profikillerin und Bill ist nach wie vor davon überzeugt, dass sie es in ihrem Wesen auch geblieben ist, dass ihre bürgerliche Existenz nur eine Maske seie. Sie will sich von dieser Identität lösen, doch ihre Vergangenheit holt sie ein und zerstört ihre neue Existenz. Sie muss nun, nach dem Aufwachen aus dem Koma, mit dieser Vergangenheit abschließen, um eine neue Identität zu finden: Eine Identität als Mutter ihrer Tochter, als eine sorgevolle, liebende Person. Darum geht es letzten Endes in Vol. 2: Dass die konsequente Rächerin mit dem Samuraischwert nichts anderes lieber wäre, als das genau Gegenteil. Ihre Stilisierung zur Kämpferin im ersten Teil ist am Ende des zweiten nichtig, quasi nur eine Übergangsphase: Was wir zum Schluss von Vol. 2 haben, ist ein Mensch, mit Gefühlen und Sorgen. 

Vol. 1 ist demzufolge nur noch Fassade, eine Oberfläche, wie sie uns Filme oftmals bieten. Eine perfekte Oberfläche, möchte ich sagen, ein wilder Ritt durch coole, epische, gänsehautlastige Szenen zu perfekt ausgewählter Musik und damit eine Liebesode an die direkte Kraft eines Films, an seine Energie, den Zuschauer mit hohem Tempo mitzureißen und ihm ein Spektakel zu bieten. Mehr ist Vol. 1 an sich nicht, als ein vollendetes Spektakel, eine vollendete Rachefantasie. Vol. 2 dreht das Ganze dann um, bricht die Fassade auf und zeigt dem Zuschauer den Charakter hinter der Figur, die Seele hinter der Erscheinung. Der zweite Teil bietet zwar auch überwältigende Szenen (wie den unheimlich intensiven Kampf zwischen der Braut und Elle Driver), setzt aber hauptsächlich auf Dialoge und entfaltet gerade zum Schluss seine ganze emotionale Ebene. Unvergesslich die Einstellung von der Braut – die nun auch einen Namen bekommt, der uns im ersten Teil verheimlicht wurde: Beatrix Kiddow – wie sie nach Bills Tod (übrigens eine der größten und erhabendsten Todesszenen in der Filmgeschichte, meiner Meinung nach) weinend und lachend zugleich auf dem Badezimmerboden liegt und sich in Glückstränen windend immer wieder „Thank you...“ flüstert. Das ist nicht mehr das beinahe ikonisierte Etwas mit einem scharfen Samuraischwert vom Anfang, nicht mehr eine von Rache besessene Figur, das ist eine Frau, die uns plötzlich emotional ganz nah ist, eine Frau, welche nach unzähligen Hürden ihr ursprüngliches Ziel erreichen konnte: Den Ausbruch aus einer alten Identität, welche einer, ich sage mal, naturgegebenen und von Liebe statt von Tötungslust geprägten Identität gewichen ist, weichen musste. 


Wem Beatrix Kiddow in diesem Moment nun dankt, darüber kann man nur spekulieren. Als Zuschauer möchte man zumindestens Tarantino dafür danken, dass er eine perfekte Hommage an das Medium Film geschaffen hat, sowohl eine Huldigung des Films als Überwältigungs- wie auch als Erzählmedium, mit all den stilistischen und storytechnischen Kniffen, die man von diesem Mann erwarten konnte. Ein Film, der mir vor einigen Jahren zeigte, wozu Filme in der Lage sind, und welcher auch nun ein höchster Genuss gewesen ist, voller Gänsehautmomente, in denen ich Tränen nicht vermeiden konnte, und mit einer letzten Endes hochmenschlichen Erzählung, welche mich diesmal noch mehr berührt hat als jemals zuvor. Danke, Quentin. 

10

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