Suche
Montag, 17. Dezember 2012
Der Hobbit - Eine unerwartete Reise
The Hobbit - An Unexpected Journey
USA 2012
Regie: Peter Jackson
Darsteller: Martin Freeman, Ian McKellen, Richard Armitage, Andy Serkis u.a.
Gandalf ex machina. Man merkt immer wieder, dass die Vorlage ein Kinderbuch ist. Man merkt aber auch, dass die Verfilmung die Kraft hat, aus der Vorlage mehr zu machen. Was im Buch mit Worten der Figuren abgehandelt wird, übersetzt Jackson immer wieder in Bilder - und trifft damit genau die Essenz einer Buchadaption. Natürlich ist der Film zu langgezogen - was man zum Schluss hin weniger stark merkt - natürlich ist der Vorwurf der reinen Geldgier kaum aus dem Hinterkopf zu bekommen. Aber sobald der Film es schafft, eine Behauptung aus dem Buch in eine mitreißende, emotionale Szene umzuwandeln, möchte man ihm seine Ausgedehntheit nun doch nicht übel nehmen. The Hobbit ist öfters ein Paradebeispiel für das Erzählmedium Film, weil er das, was er erzählt, vorwiegend zeigt - in wahrlich großen, überwältigenden Bildern.
Die neue HFR-Technik ist ein Wagnis und lässt Erinnerungen an Camerons Avatar wach werden. Die visuellen Ziele der beiden Werke sind im Grunde gleich: Avatar wollte eine außerirdische Welt so real wie nur möglich wirken lassen (Stichwort Eskapismus - auch in der Story fein aufgegriffen) - The Hobbit eine (bereits bekannte) Fantasywelt (eigentlich DIE Film-Fantasywelt unserer Zeit). Mittelerde war nie so greifbar. Eigentlich war nie eine Filmwelt so greifbar. Was dem einen ein abstoßender TV-Bild-Effekt, ist dem anderen eine visuelle Erfüllung. Feinde von 3D werden mit HFR wohl auch nicht warm, Freunde der Technik sollten eine Sichtung riskieren. Denn: Es ist definitiv ein Fortschritt. Panoramabilder waren noch nie so groß wie in diesem Film. Viele der Einstellungen sind atemberaubend und der Gigantismus der Felsenkraxelei war für mich der größte (im wörtlichen Sinne) Kinomoment seit langem.
Das hat mit Film, mit filmischen Filtern, mit Perspektivenbeschneidung oftmals nichts mehr zu tun, weswegen sich viele vor den Kopf gestoßen fühlen (werden) und ich schätze Jacksons Mut, diese noch so junge Technik einzuführen. Der Clou des Ganzen liegt (womöglich) darin, einen Fantasyfilm in bester Fantasyfilmtradition aussehen zu lassen, als wäre er real. Das ist verwirrend und man kann streiten, inwiefern das sinnvoll ist. Aber es ist ein Versuch und es ist ein Novum. Ich persönlich fand's faszinierend.
Ansonsten: Schöne Kinounterhaltung in großen Gesten und zugleich mit Gefühl für feine Details. Steckbriefangaben wie Kamera, Schnitt, Effekte, Musik, Darsteller und Inszenierung lassen praktisch keine Kritik aufkommen, auch wenn einigen der Humor sicherlich hier und da zu kindisch sein wird - und die Sequenz um Gollum ist genau die Gänsehautperle, die man sich erhofft hat. Neben einer schönen Rückkehr nach Mittelerde bietet der Film aber vor allem - eine neue Kinovision. Keine unstreitbar positive, aber eine mutige und (buchstäblich) große. Gegen Ton- und Farbfilm, DVDs und Blu-Rays und 3D (sowieso) wurde übrigens auch viel gewettert. Manchmal wünsche ich mir mehr Mut zur Zukunft. Für mich, der jeden neuen und gewagten Schritt des Blockbusterkinos begrüßt, auf jeden Fall ein tolles Erlebnis.
7
Freitag, 14. Dezember 2012
Anna Karenina
Anna Karenina
Großbritannien 2012
Regie: Joe Wright
Darsteller: Keira Knightley, Aaron Taylor-Johnson, Jude Law, Matthew Macfayden u.a.
Im Anfang opulentes, prächtiges Theater, so inszeniert und eingeübt wie die darin porträtierte Gesellschaft: Schöne Kleider, bunte Feste, schneller Szenenwechsel, eine Komposition des schönen Lebens. So reißt der Film seinen Zuschauer in seine beinahe märchengleiche Welt, wo die Kamera schwungvoll von Szenerie zu Szenerie, von Dekoration zu Dekoration gleitet, während sich die Welt mit den Schritten der Protagonisten entfaltet. Nur das pechschwarze Gesicht eines Arbeiters lässt vermuten, was hinter den Kulissen passieren mag - und ein blutiger Unfall zeigt, dass das Stück doch im Leben stattfindet. Dann macht sich Anna auf eine schmerzhafte Reise, wenn das Spot(t)licht der Gesellschaft ihr den Weg in die Finsternis und die Verzweiflung weist. Irgendwann wirkt der Film quälend langsam, quälend zerrissen und man sehnt sich nach dem Elan des Anfangs. Aber das ist kein Schwachpunkt, sondern nur die logische Konsequenz: Am Ende sind wir aus der Bühnenillusion eines Lebens in dessen Off angekommen - ein Weg aus der Überinszenierung in die Realität, gleich dem Wege Annas. Somit ist Anna Karenina nicht bloß ein sehr schön, sondern auch ein sehr intelligent inszeniertes Werk. Und nachdem der Zug des Lebens den Traum überholt hat, erscheint eine mögliche Erlösung in den goldfarbenen ländlichen Feldern, wo man das Leben lebt, anstatt es zu spielen - ganz im Sinne Tolstois. Die tolle Besetzung tut ihr Übriges für den Kinogenuss: Knightley passt bereits optisch perfekt in das Liebesmärtyrium, Law überzeugt mit gequälter Beherrschung und Macfayden ist vielleicht der beste Russe, den ein Nichtrusse jemals gespielt hat.
7
Dienstag, 27. November 2012
300
300
USA 2007
Regie: Zack Snyder
Darsteller: Gerard Butler, Rodrigo Santoro, David Wenham, Michael Fassbinder u.a.
Dieser Film ist eine Lüge. Diese Geschichte ist eine Lüge. Der Erzähler ist einer von ihnen, wir dürfen ihm nicht glauben. Wir dürfen niemandem glauben. Nicht unseren Augen und schon gar nicht unseren Ohren. Nicht den Parolen und nicht der Motivation. 300 ist manipulativ, aber so offen manipulativ, dass man darauf eigentlich nicht reinfallen kann (und schon gar nicht darf!). Das ist nicht mehr "Style > Content" - das ist ("SPARTA!"): "Style = Content". Wessen Feindbilder waren nochmal dunkelhäutig und/oder homosexuell? Wer verlangt Entmystifizierung und schafft permanent eigene Legenden? Snyders erstes Vorzeigewerk erscheint nach reichlich Über-Überlegung mehr wie ein Sitten- denn wie ein Schlachtenbild, wie eine Karikatur, die dem Zuschauer vorgaukelt, sie seie ernstzunehmen. Aber man kann das alles nicht ernst nehmen. Man kann die Lügen nicht übersehen. Die Erzählung ist ebenso künstlich wie ihre Bilder. Der Aberglaube ist besiegt, es lebe der Aberglaube. Denn so entsteht Geschichte, Tag für Tag. Heute vielleicht extremer als damals. Vielleicht kommt der Film zu einer perfekten Zeit. Vielleicht ist er kontroverser als für jemals erachtet worden. Nur vielleicht - aber nicht unmöglich. Denn unerwartet viele Filme sind schlauer als ihre Zuschauer. Schließen möchte ich mit einer Paraphrase aus Snyders endgültigem Triumph: You have all the information you need. Now think!
8
Samstag, 6. Oktober 2012
Liebe
Amour
Frankreich 2012
Regie: Michael Haneke
Darsteller: Jean-Louis Trintignant, Emmanuelle Riva, Isabelle Huppert u.a.
Lege mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm. Denn Liebe ist stark wie der Tod und Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich. (Hohelied 8,6)
Es gibt eine Szene in diesem Film, einen kurzen Dialogausschnitt zwischen den beiden, worin so viel Respekt, Verständnis und - eben - Liebe zu spüren ist, dass mir noch immer warm ums Herz ist. Ein großer, seinem Thema würdiger Film, uneingeschränkt empfehlenswert. So intim wie ein Werk von Chris Ware. Viel mehr muss man dazu auch nicht sagen.
Sonntag, 30. September 2012
Prometheus
Prometheus
USA 2012
Regie: Ridley Scott
Darsteller: Noomi Rapace, Michael Fassbender, Charlize Theron, Idris Elba, Guy Pearce
Die Wertung gilt vor allem dem Kinoerlebnis Prometheus und dem äußerst gelungenen 3D-Einsatz: Gewöhnt man sich in den meisten Fällen schnell an den Effekt, schafft es Scott bei seinem letzten Werk, diesen stets präsent zu halten. Die teure Spielerei macht die Erdspalten enger, den Staub dichter, das Metall kälter und die Hologramme futuristischer - womit Prometheus zum in meiner Erfahrung besten 3D-Blockbuster und dem besten 3D-Film seit Pina aufsteigt. Das ist mir durchaus einen Bonuspunkt wert.
Der Film selbst ist ein riskantes Manöver und sein Scheitern bei einem großen Teil der Zuschauer liegt quasi im Konzept begründet. Inhaltlich möchte Scott eine religiöse Parabel aufbauen, genretechnisch einen spannenden Horrorfilm abliefern - und die Klischees des letzteren hätten auch in einem reinen Genrewerk für viel Murren gesorgt. Für den ein oder anderen Gruseleffekt oder aus Mangel an konsistenteren Drehbuchideen werden hier mal physische, mal psychische Absurditäten aneinandergereiht, welche mir (diesmal als sehr gebanntem Zuschauer) im Erlebnis nicht auffielen, aber hinterher doch arg zum Kopfschütteln verleiten. Spannend und stellenweise schmerzhaft intensiv ist der Film dennoch und nicht zuletzt dank der Figur des Androiden David streift die Atmosphäre wunderbar ungreifbare Ecken (welche hoffentlich im Sequel klarer umrissen werden).
Inhaltlich ist Prometheus durchaus ein Wagnis und ich wage zu behaupten, dass es auch seine Thematik ist, welche neben den Plotlöchern für Missgunst der Zuschauer gesorgt hat. Als Idee von Schöpfung, welche aus Selbstopferung entsteht, als Erzählung von Egoismus, welcher diese Idee kontaminiert, sie in Zerstörung umkehrt, ist der Film womöglich überambitioniert, zumindestens in meinen Augen aber sehr interessant. Hinter der Fassade eines Science-Fiction-Horrortrips geraten Ideen und Ideale aneinander, die ewige Frage, woher wir kommen und was unsere Bestimmung ist (man verzeihe mir den leicht pathetischen Ausdruck), wirkt zwischen mysteriösem Schleim und außerirdischen Kreaturen gewiss verwirrend, aber auch erfrischend. Manch ein Alien-Fan mag sich über fehlende Phallussymbole beschweren, aber Scotts Ideen bewegen sich nun auf einem anderen Terrain, etwas ungeschickt, aber gerade fürs zumeist atheistische Blockbusterkino beinahe mutig. Dass vieles auf das Sequel verschoben wird, ist ärgerlich und motivierend zugleich und eine finale Aussage über die Umsetzung des Themas möchte ich mir bis zur Sichtung dieses doch verkneifen. Mag sein, dass der zweite Teil versagt (das Konzept dürfte riskant bleiben), aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Als Alien-Prequel betrachtet möchte man Scott ein kleines Augenzwinkern nicht abstreiten, wenn Prometheus endlich einen kleine Brücke zum Kultfranchise schlägt. Und ganz so fern der sexuellen Ängste ist diese Brücke nicht, bedenkt man die intendierte Lesart (kein wirklicher Spoiler: Der Ursprung vom Alien liegt tatsächlich im Menschen selbst). Das Versprechen, welches der Trailer machte (ergo: Ein großer, brutaler Horrorblockbuster), kann Prometheus durchaus einlösen, sieht man über die Logikschlenker hinweg - inhaltlich erfüllt er sogar mehr, bringt man etwas Interpretationslust mit. Man mag nun warten, ob der zweite Teil dieses inhaltliche Versprechen halten kann. Bisher bin ich zufrieden und sehr gespannt.
7
Donnerstag, 27. September 2012
Audition
Ôdishon
Japan 1999
Regie: Takashi Miike
Darsteller: Ryo Ishibashi, Eihi Shiina u.a.
Vielleicht der beste Meta-Horrorfilm. Im Gegensatz zu den klassischen Vertretern dieser Filmgattung zielt Miike nicht auf eine simple Dekonstruierung der Mechanismen des Genres, sondern dorthin, wo's im wahrsten Sinne des Wortes wirklich weh tut: In die Mechanismen, welche uns Angst haben lassen. Angst, welche bekanntlich oft aus einer bestimmten Ungewissheit, einer bestimmten Ahnung entsteht. Man fühlt sich an Oldboy erinnert: Die Menschen haben nur Angst, weil sie zu viel Fantasie haben. Auch: Weil sie leichtgläubig sind. Der unerträgliche Schrecken, die höllischen Bilder einer perversen, völlig kranken Gefangenschaft funktionieren, weil wir bereit sind, sie zu glauben. Und so wie sich am Schluss die unweigerliche Frage stellt, was mit unserem doch so sympathischen Protagonisten denn nicht in Ordnung ist, müsste sich auch die Frage stellen, was in unseren Köpfen plötzlich geschehen ist. Und: Welche der Ebenen wünschen wir uns eigentlich zum Schluss? Sind die Monster jene, vor denen wir uns fürchten, oder sind wir die Monster, weil wir uns fürchten? Audition verstört und schmerzt, vor allem beschäftigt er jedoch, weil hinter seiner Grausamkeit eine noch größere Grausamkeit steckt: Die unsere. Das ist Genrekino bis in den letzten Winkel gedacht. Das ist Urhorror.
9
Sonntag, 9. September 2012
God Bless America
USA 2011
Regie: Bobcat Goldthwait
Darsteller: Joel Murray, Melinda Page Hamilton
Das große Problem von God Bless America ist, dass der Film augenscheinlich eine Satire sein möchte. Dabei übersieht Goldthwait aber leider, dass voller Hass geäußerste Kritik und permanente Übertreibung noch lange keine Satire machen - höchstens eine schlechte Posse. Die Ausgangslage ist simpel und zielt auf den Beißreflex des Bildungsbürgers, der von der allseitigen "Dummheit" der Welt (hier: Amerika) bis aufs Äußerste genervt ist, ab: Unser Protagonist hat nervig laute und völlig respektlose Nachbarn, in seinem TV-Gerät läuft nur niveauloser Mist, seine Tochter lebt bei der geschiedenen Mutter und wächst als völlig arrogant und verwöhnt auf, er wird gefeuert, weil er einer Kollegin Blumen geschickt hat (das ist eine wirklich gute Szene, aber leider die einzige gute im ganzen Film), und anschließend wird bei ihm ein Hirntumor festgestellt, an dem er bald sterben soll. Er möchte Selbstmord begehen, lässt dabei aber das TV laufen und kommt beim Schauen einer Realityshow um eine verwöhnte 16-jährige auf die Idee, doch besser erst dieses in seinen Augen lebensunwerte Geschöpf zu töten. Gesagt, getan, er spürt das Mädchen auf und tötet sie, wird aber dabei von einem anderen Mädel, Roxy, beobachtet, die seine Tat super findet und ihn später aufsucht. Als er ihr erklärt, dass er Selbstmord begehen möchte, möchte sie zuschauen, was er ihr auch erlaubt (an dieser Stelle ein großes WTF?!), aber bei der Unterhaltung stellen sie fest, dass es ja noch mehr Menschen gibt, die man eigentlich töten könnte und sollte. Roxy erzählt, dass sie aus einer Drogensüchtigenfamilie kommt und permanent von ihrem Bruder vergewaltigt wird, also lässt Frank, der Protagonist, sie mit sich ziehen. Fortan fahren sie durch die USA und bringen Leute um, die ihnen als zu rüde erscheinen oder die im TV in dämlichen Shows auftreten.
Was der Film hier macht, ist klar: Er präsentiert uns unsere liebsten Feindbilder (dumme Politiker, verwöhnte Möchtegernstars etc.), nimmt einen wütenden Opferprotagonisten und lässt ihn den Anti-American-Dream in brutalster Form durchleben. Alle freuen sich: Hurra, endlich sterben all die Menschen, die so blöd und asozial sind, dass sie eigentlich kein Leben verdient haben! Praktisch ein Selbstjustizspaß auf kultureller Ebene. Nur: Worin unterscheidet sich der Film von bsp. den TV-Sendungen, die er kritisiert? Diese schauen Menschen (womöglich), weil sie sich an deren Niveaulosigkeit aufgeilen - einen Film wie God Bless America schauen sich die Leute an, welche sich praktisch an der Rache an dieser Niveaulosigkeit aufgeilen. "We should only kill people who deserve to die." stellt klar, was der Film soweit ist: Eine reine Gewaltphantasie eines wütenden Komikers, der gerne seine Hassobjekte tot sehen würde. Merke: Man löst kein Problem, indem man Menschen erschießt. Auch nicht gedanklich.
Nun fehlt dem Film eigentlich gar nicht viel, um gut zu werden! Man denke nur an den Satireklassiker Network: Auch hier wird Kritik am System geübt, laustark und wütend (nur eben in Worten), aber der Clou ist - diese Kritik wird Teil des Systems. Kritik an dummen Fernsehshows ist letzten Endes nichts anderes, als eine weitere Fernsehshow mit superber Einschaltquote. Und, wie bereits erwähnt: Auch God Bless America bedient letzten Endes nur dieses System der Befriedigung der Zuschauerinstinkte. Die einen sehen gerne, wie junge Frauen sich mit Tampons bewerfen, die anderen sehen gerne, wie ein armer Bildungsbürger solche jungen Frauen hinrichtet. Nun müsste God Bless America nur zeigen, oder andeuten, dass das Verhalten von Frank auch nur eine solche Wichsvorlage ist. Aber das passiert nicht. Nach den paar ersten Morden könnte der Film beginnen, seine Figuren zu hinterfragen, aber das tut er nicht. So völlig psychopathisch das Verhalten von Roxy ist, sie wirkt nie wie eine Psychopathin, sie ist erstaunlich rational und beweist zudem in einem widerlichen Geschmacksrassismusdialog, dass sie ja gar nicht auf all die modernen Sachen wie Green Day oder Graphic Novels steht, sondern viel lieber Alice Cooper mag, was ihr viel Sympathie bei Frank einbringt. Die Szene erinnert an diese furchtbare 9GAG-Mentalität "neue Musik ist Schrott und wer die hört ist dämlich, nur ein paar alte Bands sind super, also vergöttern wir diese und fühlen uns intelligent".
Natürlich ist die Zeitgeistkritik nicht unbedingt unberechtigt. Aber was zeigt uns Goldthwait als Gegenentwurf? Er verbreitet nur noch mehr Hass auf die schlechten Seiten unserer Zeit und macht sich einen Spaß daraus, diese zu eliminieren. God Bless America möchte auf ein Problem hinweisen, auf welches man gar nicht hinzuweisen braucht, weil es absolut offensichtlich ist, und ist leider zu beschränkt, um Lösungsvorschläge anzubieten. Die Art und Weise, wie er das Problem theoretisch mit Gewalt angeht, befindet sich auf demselben Niveau wie das von ihm Kritisierte: Wo gebasht wird, wird zurückgebasht. Das mag manch einem amüsant erscheinen, ist aber im Kern furchtbar kindisch und unangenehm verroht. Wäre das Ganze ein 10-Minuten-Video von einem Sechszehnjährigen, wäre es witzig. Als 100-Minuten-Film von einem Erwachsenen ist es besorgniserregend.
Zudem: So möchtegern-kontrovers sich der Film gibt, so schnell zieht er seinen Schwanz ein, als es tatsächlich riskant wird. Jegliche sexuelle Spannung zwischen Frank und Roxy wird im Keim erstickt, als hätte der Macher Angst, sich irgendwo die Finger zu verbrennen. Da ist der durchaus vergleichbare Super meilenweit besser, indem er den Wahnsinn seine weiblichen Protagonistin zugibt und auch begründet. Roxy dagegen ist eine unheimlich schwache Figur, eine Wunschprojektion von einem jungen Mädel mit einem "guten Geschmack" und viel Hass auf die ach so blöde Welt. Frank ist ebenso ein völlig inplausibler Charakter, was schon in der Anfangsszene klar wird: Wieso schaltet er nicht einfach den Fernseher aus, wenn ihn das Programm anwidert? Wieso besorgt er sich keine Ohrstöpsel, wenn ihm seine Nachbarn zu laut sind? Aber der Film ist nicht an Lösungen interessiert, ihn interessiert nur seine zur Schau gestellte Zerstörung als reine Gelüstbefriedigung.
ACHTUNG, SPOILER!
Natürlich, das soll alles eine übertriebene Satire sein. Aber: Reine Kritik macht noch keine Satire. Satire funktioniert über Hinterfragung, über Subversion. Davon merkt man in God Bless Amerika leider nicht viel. Ein paar fiese Wendungen zum Schluss und das Werk wäre bemerkenswert, aber leider fällt Goldthwait nicht mehr ein, als ein paar klischeebeladene Wendungen einzubauen und am Schluss (immerhin!) darauf hinzuweisen, dass Frank sich bei seiner letzten Aktion für die Ehre von jemanden einsetzt, der diese Ehre längst abgelegt hat. Die Schlussfolgerung, die man daraus ziehen kann, ist, dass sein gesamtes Verhalten völlig sinnlos ist. Nicht falsch, nicht destruktiv, nur sinnlos. Wahrscheinlich soll uns das traurig machen. Mich macht es ehrlich gesagt nur sauer. Was für ein ausgesprochen blöder, arroganter, selbstverliebter Film.
1
Freitag, 24. August 2012
Lola
Lola
Deutschland 1981
Regie: Rainer Werner Fassbinder
Darsteller: Barbara Sukowa, Armin Mueller-Stahl, Mario Adorf, Matthias Fuchs u.a.
Auch abseits seiner politischen Komponente, welche hier in eine Fassade
aus grellsten Farben eingehüllt und mit stets zugrunde liegender Häme
präsentiert, ist Lola bereits als reine Filmerfahrung eine Feier, ein
Fest für alle Sinne, wie man es von Fassbinder eigentlich kaum mit
dieser - vermeintlichen!, selbstverständlich - Leichtigkeit kaum
erwartet hat. Man fühlt sich ein wenig an den verwegenen Blick dieses
großartigen Mannes am Schluss von seinem ersten Kurzfilm (Das kleine
Chaos) erinnert, wenn er auf die Frage, was er denn mit dem gestohlenen
Geld anfangen möchte, grinsend antwortet: Ich? Ich werde ins Kino
gehen. Lola ist Kino, in erster Linie ein Werk der herrlichen
Übertreibung, mit strahlenden Farben, markanten Figuren und
messerscharfen Dialogen. All das ist ein Genuss und Fassbinders Kritik
an und Satire auf das Wirtschaftswunder kommt nicht als Faustschlag,
sondern vielmehr als sarkastisches Geflüster zwischen der Schönheit der
Bilder und Zeilen. Die Tragödie wird nicht präsentiert, sie wird
übermalt, die Verwegenheit des Geschehens beinahe verherrlicht, der
Humor ist allgegenwärtig, doch er lacht selten über, er lacht zumeist
mit. Lola erzählt von bereits Geschehenem und deswegen ist der Film
nicht erfüllt von Wut wie beispielsweise Die dritte Generation, eine
weitere überspitzte Satire aus Fassbinders Feder, vielmehr ein
kicherndes Kopfschütteln für die einen und ein mildes Lächeln für die
anderen Beteiligten. Das alles mit herausragenden Darstellern - Barbara
Sukowas (Seelen)Striptease bei "Capri Fischer" als Eskalation und
Selbsterkenntnis zugleich, Mario Adorfs schmierig-freundliche Art als
ewiger hämischer Sieg, Armin Mueller-Stahls Ambition und Konsequenz als
Kampf gegen Windmühlen - und am Ende sind alle glücklich, auch wenn
manche das nur sagen. Ganz, ganz große und bunte Unterhaltung mit dem
nötigen fiesen Hintersinn.
8
Die Abenteuer von Tim und Struppi - Das Geheimnis der Einhorn
The Adventures of Tintin
USA 2011
Regie: Steven Spielberg
Darsteller/Sprecher: Jamie Bell, Andy Serkis, Daniel Craig u.a.
Eins vorweg: Mit den Comics und der Zeichentrickserie kenne ich mich
gar nicht aus, meine Bewertung ist also frei von allen möglichen
Fanerwartungen. Ich erinnere mich allerdings, dass ich früher (noch in
Russland) mal die ersten Folge der/einer Zeichentrickserie von Tim und
Struppi gesehen habe, in der es um irgendetwas mit Konservendosen mit
Krabben ging, und zwar mehr als nur einmal. Ich meine, ich fand sie ganz
toll, habe aber - warum auch immer - keine andere Folge jemals gesehen.
Schade. Aber jetzt habe ich zumindestens durch diesen Film ein wenig zu
der Geschichte gefunden.
Technisch ist das Ganze selbstverständlich perfekt, keine Frage.
Einer dieser Filme, die mich darüber jubeln lassen, dass ich vor knapp
einem Jahr nicht zu geizig gewesen bin, einen Hunderter mehr für ein
Laptop mit Blu-Ray-Laufwerk ausgegeben zu haben. Das Geheimnis der
Einhorn ist oftmals pure Bildgewalt, es gibt dem Genre entsprechend
detailreiche Städte westlicher wie nahöstlicher Bauart, unendlich
scheinende Wüsten und Ozeane und gerne auch beeindruckende
Flammeninfernos zu bewundern, stets mit Action, welche positiv
formuliert supermegaübertriebengeil ist und negativ formuliert ein wenig
die Story erstickt. Manch einmal habe ich mir gewünscht, über die
Aufnahmefähigkeit eines Supercomputers zu verfügen und die
entsprechenden Szenen in Ultrazeitlupe zu betrachten, um das Ausmaß des
inszenierten Chaos halbwegs wahrnehmen zu können. Das ist alles herrlich
überwältigend, aber für mich blieben bei der riesigen Show die
Teilnehmer etwas zu fern, was die Nachwirkung leider schmälert.
Ich fühlte mich ein wenig an Rango erinnert, muss ich zugeben:
Beide Animationsfilme widmen sich mit viel Vergnügen einem im heutigen
Kino eher vergessenem Genre (Western und Abenteuerfilm) und zelebrieren
und übertreiben die typischen Motive und auch Klischees dieser mit viel
Slapstick (den ich in beiden Fällen gut fand) und doch genug
Ernsthaftigkeit (beide Filme sind für eine FSK 6 recht brutal), dass ich
teils nur vor Vergnügen quietschen kann. Wenn Das Geheimnis der
Einhorn auch nicht ganz die wilde Verwegenheit der
Chamäleon-Westerngroteske erreichen kann, so reiht auch er sich in die
Reihe der Filme ein, welche klassische Motive aus der Vergangenheit in
eine hochmoderne Optik verpacken und zumindestens mir so einige
herzhafte Lacher entlocken können (und ich lache eigentlich eher selten
bei Filmen).
Ein wenig fehlt es dem Film leider an Nachhall. Vielleicht ist das
bei Tim und Struppi-Fans anders (wobei sich diese auch in zwei Lager
zu spalten scheinen), aber so sehr ich auch eine angedeutete Fortsetzung
sehen möchte, so wenig schwirrt der Film in meinem Kopf herum. Das ist
etwas schade, aber als reines Erlebnis mit Nostalgiefaktor funktioniert
das Werk prächtig, vor allem auch weil man den Machern ihre eigene
Freude an dem Film ansieht, so grenzenlos übertrieben und
fröhlich-bombastisch ist er in seinen besten Momenten. Zudem liefert
Daniel Craig einen ganz tollen Job beim Vertonen des Bösewichtes ab und
sorgt damit für den nötigen Schwarzstrich in dem überbunten Reigen.
Tolle Unterhaltung mit wahnwitziger Action, die ich unbedingt mal bei
einem Filmabend zeigen muss.
7
The Social Network
The Social Network
USA 2010
Regie: David Fincher
Darsteller: Jesse Eisenberg, Andrew Garfield, Justin Timberlake u.a.
Arroganz führt zum Schluss führt zu Hass führt zu Rache. Menschen mit
Menschenbewertungsdrang, kriegen eine Plattform, freuen sich. Der erste
Schritt ist getan, das erste Ziel: Freier Zugriff auf Gesichter. Wir
könnten natürlich auch Pornos schauen, aber hey: Diese Gesichter sind
uns ja bekannt, wir sehen sie täglich, hier sind sie, jederzeit
abrufbar, bewertbar. Menschen auf ein Foto reduziert, doch die Zukunft
naht: Reduziere dich selbst auf das, was dir am wichtigsten. Weiter:
Rache, große Rache schafft Bekanntheit, Bekanntheit schafft Kontakte,
Kontakte schaffen Möglichkeiten. Diebstahl der Zukunftsbringer,
klassisch - früher: Technik, Gerät, Maschine, nun: Konzept, Vision,
Idee. Ewige Gespräche, später, wer, was und wo gesagt, gefragt,
vorgeschlagen. Vernichtung nicht durch Waffen, sondern durch PR. Design
ist keine Frage des Geschmacks, Coolness ist keine Frage des Geschmacks.
Die Zahnräder drehen sich, die Zukunft deutet sich an. Digitaler
Steckbrief, Steigerung der Informationsgeschwindigkeit, keine unnötigen
Fragen, alles auf einen Blick. Nicht der gläserne Mensch - der sich
entblößende Mensch. Geld größer Freundschaft (wie immer), dafür neuer
Begriff: Digitale Freundschaft. Das Collegeleben für alle, im Internet.
Kleinste Fragen prägen unsere Kommunikation, kleinste Vorschläge unsere
täglichen Beschäftigungen. Das ist die Zukunft und sie beginnt
vorgestern und wir sind ein Teil von ihr. Meine Chronik ist mein
Tagebuch. Meine Vergangenheit in alle Ewigkeit. Jede Vergangenheit vor
meinen Augen. Im Anfang cool, zum Schluss mehr als cool: Unersetzlich.
Das ist die Zukunft, die aus Rache geboren. Das ist das
Paralleluniversum von jenen, welche in ihrem eigenen die Wände nicht
akzeptierten. Am Ende braucht es kaum Worte, ein paar Klicks und immer
wieder
refresh
refresh
refresh
refresh
refresh
refresh
refresh
refresh
refresh
refresh
8
Mittwoch, 15. August 2012
Forbidden Zone (Totaler Sperrbezirk)
Forbidden Zone
USA 1982
Regie: Richard Elfman
Darsteller: Hervé Villechaize, Susan Tyrell, Gisele Lindley, Marie-Pascale Elfman, Danny Elfman u.a
Das
habe ich bislang noch nicht erlebt, dass der ganze Kinosaal nach dem
Film applaudiert hat. Zugegeben, es waren vielleicht ein Dutzend Leute
und ohnehin nur jene, die sich von solcher Ausprägung des Begriffs
"Filmkunst" wirklich begeistern lassen können, aber dennoch, der Film
hatte es verdient. Der Film: Ein
Ultra-Low-Budget-Fantasy-Gaga-Trash-Musical mit der Musik von Danny
Elfman (genau der, ihr elenden Burtoniasten!), inszeniert von seinem
Bruder Richard Elfman, mit wundervollen 80's-Animationen zwischendurch,
einer herrlich bescheuerten Story, zahlreichen handgemachten
Pappkulissen und einer von verwegener Freude am Wahnsinn regierten
Stimmung, für die mir nur ein gutes beschreibendes Wort einfällt:
HILARIOUS!
Die Geschichte mutet an wie eine Mischung aus Rocky Horror Pisture
Show und Alice im Wunderland: Die Familie Hercules (die Tochter mit
überfranzösischem Akzent und passenderweise "Frenchy" genannt, der Opa
mit Doppelrasputinbart und am besten angebunden zu halten, der Sohn
deutlich älter als die Eltern und mit Propellerkappe - mit der er
tatsächlich fliegen kann!) zieht in ein zuvor von einem Drogendealer
bewohntes Haus, in dessen Keller sich der Zugang zur "Sixth Dimension"
AKA "Forbidden Zone" befindet. Das Töchterchen ist natürlich neugierig,
geht runter, rutscht auf einer Bananenschale aus und landet im
Königreich von King Fausto, einem Zwerg mit großen Gelüsten nach der
Neuen. Das findet Queen Doris gar nicht gut und versucht, Frenchy
loszuwerden. Ihre Familie sowie ihr Freund Squeezit (der sich, wieso
auch immer, wie ein Huhn benimmt) eilen zur Rettung und sorgen für
ordentlich Chaos.
Aufgeschrieben sieht das alles noch zu normal aus. Zwischendurch wird
in der Schule noch das Alphabet auf die herrlichste Art gesungen, wie
man ein Alphabet nur singen könnte, König und Königin speisen unter
einem lebendigen Kerzenhalter und der treuste Diener der Königin ist ein
Froschmensch. Forbidden Zone braucht auch gar nicht als Parabel oder
Satire oder sonstwas halbwegs Intelligentes betrachtet zu werden, mehr
als ein durchgeknalltes Selfmade-Musical steckt da höchstwahrscheinlich
nicht drin. Aber: Es ist das verdammtnochmal durchgeknallteste
Selfmade-Musical ever (zumindestens eines der, mein Musicalwissen ist
nun nicht das beste)! Die grandiosen Kulissen, die tollen und verdammt
gutgelaunten Darsteller (Danny Elfman hat einen wunderbaren Auftritt als
Satan höchstpersönlich!) und diese Musik...ein Film zum Durchfeiern,
ein Triumph des von allen Konventionen befreiten
Musikbilderwahnsinnrausches, unglaublich witzig, unglaublich
unterhaltsam und auf sympathischste Weise bescheuert. ABSOLUTELY
HILARIOUS AND HIGHLY RECOMMENDED!
Gedreht wurde das Ganze damals noch in schwarz-weiß, mittlerweile
gibt es aber auch eine nachkolorierte Fassung - ich behaupte mal, in
Farbe flasht der Film etwas mehr. Die nachfolgenden Videos sind leider
noch die s/w-Fassungen, aber immer noch ein Vergnügen.
8
Kill Bill
KIll Bill
USA 2003/2004
Regie: Quentin Tarantino
Darsteller: Uma Thurman, David Carradine, Michael Madsen, Lucy Liu, Daryl Hannah, Vivica A. Fox, Michael Parks, Gordon Liu
(Der folgende Text bezieht sich sowohl auf Vol. 1 als auch auf Vol. 2 und enthält SPOILER)
Tarantino, seit jeher dafür bekannt, klassische Filmmotive und -aspekte sowohl zu zelebrieren als auch neuzuinterpretieren und zu hinterfragen, tut auch in seinem Racheepos nichts anderes – und dieses mal sogar mit einer klaren Zweiteilung nach der Funktion der einzelnen Abschnitte. Ist Vol. 1 dabei ein Höhepunkt des Abfeierns der Erzähl- und Darstellungsmöglichkeiten des Films, findet das Werk in Vol. 2 nicht nur zu einer beherrschteren Haltung, sondern auch zu gewitzten Spielen mit der Erwartungshaltung des Zuschauers sowie einer überraschend tiefen Bedeutung, welche sich zum Schluss immer deutlicher herauskristallisiert.
Kill Bill: Vol. 1 ist in seinem Kern nichts anderes als ein Liebesbekenntnis zur filmischen Realität, beziehungsweise zu einer rein filmischen Realität. Dieser Film, inklusive seiner übertriebenen Gewalt, löst sich von jeglichen realen Grenzen – man mag schätzen, in welchem Jahr die Geschichte ungefähr spielen könnte, und natürlich sind die Handlungsorte in unserer Welt verankert, was in ihnen passiert, ist jedoch einer anderen Dimension verschrieben als der unseren. Die Moral der Figuren würde in der Wirklichkeit nicht funktionieren, man wird sie in diesem Film jedoch niemals hinterfragen, weil sie auch gar nicht den Anspruch hat, moralisch zu sein – die Taten der Figuren geschehen nicht, damit über sie gerichtet werden kann, sie dienen (noch) rein dem Selbstzweck. Von Bildkomposition über Soundtrack bis hin zu den (grandiosen) Kampfchoreographien ist Vol. 1 ein Fest, eine pausenlose Zelebrierung des Geschehens, welche nur darauf bedacht ist, das Maximum aus jeder Situation herauszukitzeln. Wenn gekämpft wird, wird es blutig und wuchtig und konsequent, wenn geredet wird, dann in stilisierten, eindeutigen Sätzen, wenn Figuren vorgestellt werden, dann mit prägnanten Aktionen. Bild und Ton vereinen sich immer wieder zu Musikclips von höchster Gänsehautproduktion und die Darsteller machen sich alle Mühe, einen unvergesslich verwegenen Eindruck zu hinterlassen.
Vol. 1 ist auf sofortige Überwältigung aus, was aber nicht heißen soll, dass keine Zeit für ruhigere Momente bleibt (das Gespräch zwischen der Braut und der Tochter von Verdita Green oder die Szenen mit Hattori Hanzo). Diese bleiben aber soweit: Momente, außer beim Schlusskampf, wenn bereits ein Bruch in der Stimmung zu verzeichnen ist. Wo zuvor mit voller physischer Energie und hohem Tempo inszeniert wurde, wird die Szenerie nun verträumt-malerisch, die Stimmung beherrscht, der Kampf zwischen O-Ren Ishii und der Braut findet mehr auf einer psychologischen Ebene statt (der physische Kampf an sich dauert, gerade im Vergleich zum vorangehenden Showdown, welcher seiner Bezeichnung alle Ehre macht, frappierend kurz). Das ist bereits ein Vorausblick auf das, was in Vol. 2 folgen wird, wie auch der letzte Satz des Films: „Is she aware that her daughter is still alive?“ Bislang war die Braut eine reine Killermaschine, welche für ihre Lust auf Rache über zahlreiche Leichen geht, dieser letzte Satz ist jedoch der erste Schritt zu einer Vermenschlichung dieser Figur, der Beginn eines Weges von einer reinen Filmfigur zu einer Persönlichkeit.
Vol. 2 also. Es ist nicht verwunderlich, dass viele Zuschauer nach dem Gewalt- und Energiefeuerwerk des ersten Teils vom zweiten milde bis sehr enttäuscht waren, doch die Zweiteilung seitens Tarantino hat mehr Sinn, als nur die Laufzeit zu strecken und somit eine längere Geschichte zu erzählen: Nein, diese Zweiteilung erlaubt es ihm, eine vor allen Dingen komplexere Geschichte zu erzählen – eine, welche von der Menschwerdung einer Filmfigur erzählt. Zudem wird das in Vol. 1 konsequent verfolgte Prinzip, alle Versprechen an den Zuschauer mit all der Wucht zu erfüllen, die sich dieser erhofft, umgekehrt: Vol. 2 spielt wieder mit der Erwartungshaltung des Zuschauers, er bricht sogar mit dem grundsätzlichen Konzept der Geschichte (aka „Die Braut bringt alle um, die an dem Massaker an ihrer Hochzeit beteiligt waren“). Es geht nicht mehr bloß um die Racheidee und um deren brutale Ausführung und man erfährt erst gegen Ende, worum es eigentlich geht. Als die Braut schließlich Bill findet, muss sie feststellen, dass ihre Tochter gar nicht gestorben ist, sondern von ihm aufgezogen wurde. In einem Gespräch zwischen den beiden kommt heraus, dass sie aus der Killergruppe ausstieg, sobald sie von ihrer Schwangerschaft erfuhr, um ihrer Tochter eine gefahrenlose Existenz garantieren zu können. Aus der Killermaschine wurde zum Zeitpunkt der Entdeckung eine um das Leben bangende Mutter.
Es ist die Frage nach der eigenen Identität, welche hier gestellt wird – die Braut war stets die eiskalte Profikillerin und Bill ist nach wie vor davon überzeugt, dass sie es in ihrem Wesen auch geblieben ist, dass ihre bürgerliche Existenz nur eine Maske seie. Sie will sich von dieser Identität lösen, doch ihre Vergangenheit holt sie ein und zerstört ihre neue Existenz. Sie muss nun, nach dem Aufwachen aus dem Koma, mit dieser Vergangenheit abschließen, um eine neue Identität zu finden: Eine Identität als Mutter ihrer Tochter, als eine sorgevolle, liebende Person. Darum geht es letzten Endes in Vol. 2: Dass die konsequente Rächerin mit dem Samuraischwert nichts anderes lieber wäre, als das genau Gegenteil. Ihre Stilisierung zur Kämpferin im ersten Teil ist am Ende des zweiten nichtig, quasi nur eine Übergangsphase: Was wir zum Schluss von Vol. 2 haben, ist ein Mensch, mit Gefühlen und Sorgen.
Vol. 1 ist demzufolge nur noch Fassade, eine Oberfläche, wie sie uns Filme oftmals bieten. Eine perfekte Oberfläche, möchte ich sagen, ein wilder Ritt durch coole, epische, gänsehautlastige Szenen zu perfekt ausgewählter Musik und damit eine Liebesode an die direkte Kraft eines Films, an seine Energie, den Zuschauer mit hohem Tempo mitzureißen und ihm ein Spektakel zu bieten. Mehr ist Vol. 1 an sich nicht, als ein vollendetes Spektakel, eine vollendete Rachefantasie. Vol. 2 dreht das Ganze dann um, bricht die Fassade auf und zeigt dem Zuschauer den Charakter hinter der Figur, die Seele hinter der Erscheinung. Der zweite Teil bietet zwar auch überwältigende Szenen (wie den unheimlich intensiven Kampf zwischen der Braut und Elle Driver), setzt aber hauptsächlich auf Dialoge und entfaltet gerade zum Schluss seine ganze emotionale Ebene. Unvergesslich die Einstellung von der Braut – die nun auch einen Namen bekommt, der uns im ersten Teil verheimlicht wurde: Beatrix Kiddow – wie sie nach Bills Tod (übrigens eine der größten und erhabendsten Todesszenen in der Filmgeschichte, meiner Meinung nach) weinend und lachend zugleich auf dem Badezimmerboden liegt und sich in Glückstränen windend immer wieder „Thank you...“ flüstert. Das ist nicht mehr das beinahe ikonisierte Etwas mit einem scharfen Samuraischwert vom Anfang, nicht mehr eine von Rache besessene Figur, das ist eine Frau, die uns plötzlich emotional ganz nah ist, eine Frau, welche nach unzähligen Hürden ihr ursprüngliches Ziel erreichen konnte: Den Ausbruch aus einer alten Identität, welche einer, ich sage mal, naturgegebenen und von Liebe statt von Tötungslust geprägten Identität gewichen ist, weichen musste.
Wem Beatrix Kiddow in diesem Moment nun dankt, darüber kann man nur spekulieren. Als Zuschauer möchte man zumindestens Tarantino dafür danken, dass er eine perfekte Hommage an das Medium Film geschaffen hat, sowohl eine Huldigung des Films als Überwältigungs- wie auch als Erzählmedium, mit all den stilistischen und storytechnischen Kniffen, die man von diesem Mann erwarten konnte. Ein Film, der mir vor einigen Jahren zeigte, wozu Filme in der Lage sind, und welcher auch nun ein höchster Genuss gewesen ist, voller Gänsehautmomente, in denen ich Tränen nicht vermeiden konnte, und mit einer letzten Endes hochmenschlichen Erzählung, welche mich diesmal noch mehr berührt hat als jemals zuvor. Danke, Quentin.
10
Sonntag, 3. Juni 2012
Charade
Charade
USA 1963
Regie: Stanley Donen
Darsteller: Audrey Hepburn, Cary Grant, Walter Mattau, James Coburn, George Kennedy u.a.
Die junge Reggie (bezaubernd: Audrey Hepburn) will sich von ihrem
Ehemann Charles scheiden lassen, aber das Schicksal erspart ihr den
Papierkram und lässt diesen im Pyjama aus dem Zug werfen. Der schon zu
Lebzeiten arg rätselhafte Charles gibt damit aber allen seinen Freunden
und (vorwiegend) Feinden ein Rätsel auf: Wo sind die 250.000 Dollar, die
er der amerikanischen Regierung noch im Zweiten Weltkrieg gestohlen
hat? Die Interessenten: Natürlich die verwirrte Reggie ("If you meant to
frighten me...you did your job very well!"), an ihrer Seite der galante
Peter Joshua (Cary Grant, der ewig Geschiedene), CSI-Spion - pardon! -
Agent Walter Bartholomew (köstlich: Walter Mattau), als Feinde Leopold
(der dauerniesende Ned Glass), der letzte Westernschurke Tex (James
Coburn - so gemein, dass er die arme Audrey mit Streichhölzern bewirft)
und natürlich Scobie (George Kennedy), der Mann mit der wahrhaftigen
Todeskralle. Verwirrt in der Ecke: Inspektor Edouard Grandpierre
(Jacques Marin): "A man drowned in his own bed?!"
Als die illustren Figuren aneinandergeraten, wird es mal unheimlich
komisch (das Orangenspiel! Die Beerdigung!), mal (unangenehm)
überraschend, mal ungehemmt romantisch: "You know what's wrong with
you?" - "What?" - "...Nothing!" - auf jeden Fall zu keinem Zeitpunkt
langweilig, voller kleiner Nuancen (wie das Puppentheaterstück) und
großer Wendungen und mit einem spannenden Finale - gefolgt von einer
wundervollen Schlussszene. Eine Perle eines scheinbar vergessenen
Genres, mit so viel Schwung und so viel Charme, dass es eine reine
Freude ist, durchgehend und mit jeder weiteren Sichtung aufs Neue,
Rätselkino, Darstellerkino und Komödie zugleich und alles auf höchstem
Niveau. Ich bin begeistert.
"We use the guillotine in this country. I have always imagined that
the blade, coming down, causes no more than a slight tickling sensation
on the back of the neck. It is only a guess, of course. I hope none of
you ever finds out for certain."
8
Dienstag, 29. Mai 2012
Oldboy
Oldboy
Südkorea 2003
Regie: Park Chan-wook
Darsteller: Choi Min-sik, Ji-tae Ju, Hye-jeong Kang u.a.
Das Beeindruckendste an Oldboy ist letzten Endes nicht seine Art
der suggestiven und dennoch mehr als schmerzvollen Gewaltdarstellung,
nicht die schauspielerische Glanzleistung von Choi Min-Sik und nicht
einmal seine zwischen Frustration und Ekstase schwankende Story. Die
wahre Essenz dieses Films liegt für mich in der konsequenten Vermeidung
des Nicht-Erinnerungswürdigen: Park Chan-Wook schafft es tatsächlich,
jeden einzelnen Moment zu etwas Großem zu stilisieren, egal, wie bekannt
einem dessen Grundstruktur erscheinen mag - und so wird aus einer
Kampfszene eine einzigartige One-Shot-Wutchoreographie, so wird aus
jedem Dialog eine Zitatschlacht, so wird aus jeder wortlosen Einstellung
entweder ein Ultrakurzmusikclip erster Güte oder ein Kunstwerk zum
Ausschneiden und An-die-Wand-hängen. Dass Oldboy es dabei dennoch
schafft, zu keinem Zeitpunkt Style-over-Content zu sein, sondern dem
Zuschauer durchgehend psychische Extremen, große Dramatik und subtile
Hinweise auf Themen wie Medienabhängigkeit, Manipulation, Überwachung
oder sozialen Niedergang zu vermitteln weiß, ist ein beinahe noch
größeres Kunstwerk als die Inszenierung selbst. Und der schmerzvollste
Twist ist nicht der eigentliche, sondern der finale Fade-Out, welcher
die allerletzten Sekunden dafür nutzt, auf all die vorhergehenden
Magenschläge einen Stich ins Herz draufzusetzen.
Ein postmodernes Überwerk, Genre "Lieblingsfilm". Mehr geht kaum.
10
Verblendung
The Girl with the Dragon Tattoo
USA 2011
Regie: David Fincher
Darsteller: Daniel Craig, Rooney Mara, Christopher Plummer, Stellan Skarsgård u.a.
Das größte Problem von Verblendung liegt - für mich, der weder die
Buchvorlage noch die erste Verfilmung kennt - tatsächlich im großen
Namen des Regisseurs. Nein, man braucht sich um dessen
Inszenierungskunst (weiterhin) keine Sorgen machen: Wo aus dem Drehbuch
physische und psychische Wucht herauszuholen ist, geschieht dies auch,
und es gibt eine Szene, die in ihrer übelkeitserregenden Verzweiflung
gar Richtung Noé zu schielen scheint. Fincher weiß, wie man den
Zuschauermagen erreicht, und er lässt kaum eine Gelegenheit dazu aus,
was Verblendung zu einem mitreißenden Krimithriller-Erlebnis macht,
welches überraschend oft das brutale Versprechen des (grandiosen)
Vorspanns erfüllt und dessen Einbindung in den Film berechtigt.
Doch was man mit dem Namen Fincher letzten Endes doch nicht ganz
vereinen kann, ist das Drehbuch. Es ist spannend, es ist gut
konstruiert, es ist auch - wie bereits erwähnt - öfters wirklich heftig,
aber im Endeffekt beinhaltet es zu viele Zugeständnisse an den
Zuschauer - selbst wenn diese manch einmal brutaler ausfallen als manch
eine "böse" Szene in anderen Filmen. Doch den emotionalen - oder
intelektuellen - Schlag ins Gesicht sucht man hier vergebens und wer bei
"Fincher" immer noch hauptsächlich an Sieben und Fight Club denkt,
wird (mal wieder) nicht um eine mittelschwere Enttäuschung herumkommen.
Das ist sicherlich Kritik auf einem hohen Niveau und definitiv keine
Kritik am Regisseur für seine Arbeit (eher für seine Drehbuchwahl), aber
es verhindert im Gesamtkontext ein besseres Urteil als "gut". Was
natürlich nicht heißt, das von einer Sichtung abzuraten ist: Verblendung ist toll besetzt, durchgehend spannend und bietet eine
interessante Story, welche zwar leider nicht so abgründig ist, wie sie
gerne wäre (wie es schon in 1984 hieß: "Ich verstehe das Wie, aber
nicht das Warum!"), aber bis zum Ende mitzureißen weiß. Wobei es für die
letzte Szene wirklich etwas auf die Finger geben sollte. Ansonsten
heißt es: Nicht mehr und nicht weniger als ein guter Film. Was weniger
ist als das, was Fincher uns einst zu bieten vermochte, aber für einen
geselligen Kinoabend auf jeden Fall mindestens ausreicht.
Antichrist
Antichrist
Dänemark 2009
Regie: Lars von Trier
Darsteller: Charlotte Gainsbourg, Willem Dafoe
Manche Filme werden gedreht, um damit Geld zu verdienen, andere, um
eine Aussage zu tätigen, manche Regisseure erfüllen sich mit ihren
Filmen ihre eigenen Kindheitswünsche, und manche Filme resultieren
einfach nur aus Wut und Hass - gerne auch aus Selbsthass. Antichrist
ist ein solches Werk des menschlichen Selbsthasses, des Dranges nach
Selbstzerstörung und dessen Konfliktes mit dem Selbsterhaltungstrieb.
Und natürlich vieles andere ebenso, aber vorrangig resultierend aus dem
reinen Hass - und so kommt es, dass am Ende dieses Werkes keine klar
erkennbare Aussage steht, sondern ein riesiges, farbloses Fragezeichen,
und bei der Frage nach dessen Bedeutung einem nichts anderes entfahren
kann als ein verzweifelt-hämisches Lachen.
Doch "Film des Hasses" hin oder her, von Trier wäre nicht von Trier,
wenn das Ganze nicht eine Vieldeutigkeit erreichen würde, wie sie sonst
wohl nur von "Letztes Jahr in Marienbad" erreicht werden kann: Sein Antichrist kann buchstäblich alles sein, ein Todesurteil wie eine
Erlösungsguide, eine mit Blut und Sperma geschriebene Tragödie wie eine
unheimlich schwarze Komödie, ein frauenfeindliches wie männerfeindliches
Werk, womöglich auch zugleich, ein Schlag ins Gesicht all der
Psychotherapeuten dadraußen oder vielleicht eine weitesgehend
missverstandene Selbstkritik (wobei die Tendenz zur Selbstverherrlichung
deutlicher ist - auch wenn es die grausamste Form der
Selbstverherrlichung und - darstellung ist, die das Kino jemals erleben
durfte und musste).
Es bringt nichts, zu versuchen, diesen Film auf nur einen Aspekt zu
begrenzen, es ist gar sinnvoller, ihn gar keinem festen Aspekt
zuzuordnen, sondern als Nährboden für Aspekte anzusehen, als
Diskussionsgrundlage, aber nicht als Diskussionsargument. Lars von Trier
wütet hier 108 Minuten lang über Zelluloid, mit der Versessenheit eines
kleinen Kindes, welches noch gar nicht begreift, was "kaputtmachen" für
Konsequenzen hat, aber zugleich mit der Hintersinnigkeit und
Zweidreivierdeutigkeit des Lars von Trier, welcher Epidemic, Idioten
und Dogville auf die Menschheit gelassen hatte. Das Ergebnis ist ein
filmischer Amoklauf, das Essenzwerk eines Mannes, welcher sich lange zur
Gewohnheit gemacht hat, dem Zuschauer in seinen Werken einen Spiegel
vorzuhalten und ihn anschließend damit lachend zu verdreschen. Mit dem
Unterschied, dass er in diesem Falle auch sich selbst nicht unverletzt
davonkommen lässt.
Antichrist ist, wie viele behaupten, tatsächlich ein Nichts -
solange er alleine, für sich steht. Ein Chaos, welches in einer eigenen
Galaxie zu existieren scheint, welche uns eigentlich egal sein kann -
aber ein Chaos, welches durch einen Blick von bestimmter Dauer zum Leben
erwacht. Selbstverständlich, jeder Film erhält erst durch die Rezeption
Bedeutung, aber im Falle von Antichrist scheint es eher so, als ob
dieser Film erst durch Rezeption überhaupt existent wird (ansonsten
verbliebe es einfach ein bösartiges Hirngespinst von Triers und eine
gruselige Erinnerung von Gainsbourg und Dafoe). Es braucht Gedanken
und/oder Diskussion, um diesen Film als mehr als nur gewaltsüchtige und
destruktive Zeitverschwendung betrachten zu können. Es braucht auch eine
Prise Überzeugung, um diesen Film überhaupt mögen zu können.
Manch einer würde auch sagen, dass es Einsicht bedarf. Oder
Akzeptanz. Oder Lebenserfahrung. Ganz subjektiv möchte ich (und werde
ich auch, immer) Antichrist als eines der großartigsten und größten
Werke der Filmgeschichte bezeichnen und tief in mir jedem Nichtgönner
fehlendes Verständnis und fehlenden Mut zur Auseinandersetzung vorwerfen
(und es ist mir egal, wie arrogant ich damit wirken mag). Ganz
subjektiv stellt es für mich den abschließenden und absolut
hoffnungslosen Teil der regisseur- und dekadenübergreifenden, von mir
ausgerufenen Beziehungstrilogie (Zulawskis Possession, Noès Irreversible und von Triers Antichrist) dar und vielleicht den
einzigen Film, bei dem es mich davor graust, mich zu lange gedanklich
damit zu beschäftigen. Von der inszenatorischen und darstellerischen
Perfektion (!) mal ganz abgesehen.
Wem meine beinahe mit Tränen in den Augen verfassten
Fanboy-Liebestiraden nicht ausreichen, der darf gerne einen Blick in
meine damals fürs Abitur verfasste Jahresarbeit über diesen Film werfen
(odt., 78 Seiten, knapp über 30.000 Wörter, Selbstdarstellung bis zum
gehtnichtmehr und somit eine hoffentlich würdige Hommage an das
grauenvolle Meisterwerk) - hier der Downloadlink (und ich freue mich
selbstverständlich über jede Form der Rückmeldung):
10
Montag, 28. Mai 2012
Europa
Europa
Dänemark/Frankreich/Deutschland 1991
Regie: Lars von Trier
Darsteller: Jean-Marc Barr, Barbara Sukowa, Udo Kier u.a.
"At the count of ten, you'll be in Europa."
Waren es in The Element of Crime und Epidemic noch Filmfiguren, die der Hypnose unterzogen wurden, ist es in Europa der Zuschauer selbst, der hypnotisiert werden soll, um eine Reise ins Nachkriegsdeutschland zu unternehmen, in der Gestalt eines Mannes, der an positive Veränderungen in diesem Land glaubt.
"Aber ich dachte, der Krieg wäre zu Ende?"
Natürlich ist er das nicht und zwischen gesprengten Fabriken und von Kindeshand verübten Attentaten kann selbst die stilsicherste Noir-Romantik darüber hinwegtäuschen, dass man in dieser Welt nur Fehler machen kann und dass jeder Schritt tiefer ins Europa nicht rückgängig gemacht werden kann.
Waren es in The Element of Crime und Epidemic noch Filmfiguren, die der Hypnose unterzogen wurden, ist es in Europa der Zuschauer selbst, der hypnotisiert werden soll, um eine Reise ins Nachkriegsdeutschland zu unternehmen, in der Gestalt eines Mannes, der an positive Veränderungen in diesem Land glaubt.
"Aber ich dachte, der Krieg wäre zu Ende?"
Natürlich ist er das nicht und zwischen gesprengten Fabriken und von Kindeshand verübten Attentaten kann selbst die stilsicherste Noir-Romantik darüber hinwegtäuschen, dass man in dieser Welt nur Fehler machen kann und dass jeder Schritt tiefer ins Europa nicht rückgängig gemacht werden kann.
Europa ist definitiv der Höhepunkt der gleichnamigen Trilogie und
ein perfekter Abschluss dieser, nicht zuletzt weil er die Verzweiflung
und Fatalität von The Element of Crime mit dem absurden Humor von Epidemic vereint und, wie zweiterer, der Frage nachzugehen versucht,
wie weit man gehen kann und soll - hier in einer scheinbar irreparabel
zerbrochenen Umgebung.
Es gibt nur eine Entscheidung, zwischen einer Pistole am Kopf eines zu wichtigen Menschen und dem formaltreuen Wahnsinn der Vorgesetzten, um beiden ein Schnippchen schlagen zu können, und als würde er an seine zukünftige "Amerika"-Trilogie anknüpfen wollen, lässt von Trier Vorurteil und falschen Eindruck in ein Finale fließen, welches Inferno und Apokalypse und der letzte Beleg dafür, dass es Zeiten gibt, in denen man nur Fehler machen kann.
Es gibt nur eine Entscheidung, zwischen einer Pistole am Kopf eines zu wichtigen Menschen und dem formaltreuen Wahnsinn der Vorgesetzten, um beiden ein Schnippchen schlagen zu können, und als würde er an seine zukünftige "Amerika"-Trilogie anknüpfen wollen, lässt von Trier Vorurteil und falschen Eindruck in ein Finale fließen, welches Inferno und Apokalypse und der letzte Beleg dafür, dass es Zeiten gibt, in denen man nur Fehler machen kann.
Ein düsteres, überraschend komisches, hilflos verzweifeltes,
fatalistisches und bildgewaltiges Meisterwerk, aus dessen
durchkomponierten Bildern des Untergangs von Trier später in die
Wildheit von Dogma floh, ohne die Dämonen der falschen Eindrücke hinter
sich lassen zu können.
Zu seinem Schmerz und zu unserer Freude.
Denn Doppelbödigkeit wirkt immer noch nur dann am besten, wenn sie einem durch einen falschen Schritt selbst die Beine bricht.
So heftig, dass es nicht vergessen werden kann.
Zu seinem Schmerz und zu unserer Freude.
Denn Doppelbödigkeit wirkt immer noch nur dann am besten, wenn sie einem durch einen falschen Schritt selbst die Beine bricht.
So heftig, dass es nicht vergessen werden kann.
9
Epidemic
Epidemic
Dänemark 1988
Regie: Lars von Trier
Darsteller: Lars von Trier, Niels Vørsel, Svend Ali Hamann, Udo Kier u.a.
Irgendwo zwischen Kaufman und Schlingensief und doch ganz und gar Lars, wie er lebt und schafft.
Epidemic stellt die Frage, wie weit man gehen darf, wenn man
echten Schmerz mit der Kamera einzufangen versucht - doch von Trier
beantwortet diese Frage (wenn auch auf einer etwas anderen Ebene) erst
in Melancholia endgültig.
Doch als bitterböses, zynisches und letzten Endes nicht bloß schockierendes, sondern schockiertes Zwischenspiel des Dänen ist Epidemic wahrlich Gold wert.
Sein Konzept wäre ein perfektes für das Filmdebüt eines ganz besonders alternativen Regisseurs, der all seine Jugend und Alternativität auf die Leinwand klotzen wöllte, oder auch ein perfektes Alterswerk eines, der mit den Jahren selbst die Lust an seinem Werk verloren hat - doch Epidemic ist Nummer Zwei und greift somit in die Vergangenheit wie die Zukunft.
Als tabuloses Experiment außer Kontrolle und als Neuerfindung zur falschen Zeit.
So meta wie kein zweiter von Trier und mit dem - hier gar nicht mehr erwarteten - Augenzwinkern in einer Form, die später in Breaking the Waves ihre Vollendung fand.
Und so doppelt- und dreifach-selbstreflexiv wie es Idioterne später sein sollte.
Und so offen komisch wie kein anderer von Trier-Film danach.
Doch als bitterböses, zynisches und letzten Endes nicht bloß schockierendes, sondern schockiertes Zwischenspiel des Dänen ist Epidemic wahrlich Gold wert.
Sein Konzept wäre ein perfektes für das Filmdebüt eines ganz besonders alternativen Regisseurs, der all seine Jugend und Alternativität auf die Leinwand klotzen wöllte, oder auch ein perfektes Alterswerk eines, der mit den Jahren selbst die Lust an seinem Werk verloren hat - doch Epidemic ist Nummer Zwei und greift somit in die Vergangenheit wie die Zukunft.
Als tabuloses Experiment außer Kontrolle und als Neuerfindung zur falschen Zeit.
So meta wie kein zweiter von Trier und mit dem - hier gar nicht mehr erwarteten - Augenzwinkern in einer Form, die später in Breaking the Waves ihre Vollendung fand.
Und so doppelt- und dreifach-selbstreflexiv wie es Idioterne später sein sollte.
Und so offen komisch wie kein anderer von Trier-Film danach.
Was passiert, wenn aus der schmerzhaften Wirklichkeit Film wird, weiß
(oder ahnt) man - doch was passiert, wenn aus einem Film Wirklichkeit
wird?
Die Antwort zielt in den Magen und trifft mit voller Wucht, aber hey, hey, hey, nicht vergessen:
"Epidemic - we all fall down - epidemic - - epidemic - we all fall down - epidemic - - epidemic - we all fall down - epidemic - - epidemic - we all fall down!"
Auf Lars war eben damals schon Verlass.
Die Antwort zielt in den Magen und trifft mit voller Wucht, aber hey, hey, hey, nicht vergessen:
"Epidemic - we all fall down - epidemic - - epidemic - we all fall down - epidemic - - epidemic - we all fall down - epidemic - - epidemic - we all fall down!"
Auf Lars war eben damals schon Verlass.
The Element of Crime
The Element of Crime
Dänemark 1984
Regie: Lars von Trier
Darsteller: Michael Elphik, Esmond Knight, Me Me Lai, Ahmed El Shenawi
Von Triers Erstling ist umgekehrter Eskapismus: Physisch zwar (mehrfach) aus der Hölle entkommen, doch den Geist zieht es zurück an den Ort, wo er an seine Grenzen kam und sich selbst verloren ging.
Nicht Noir, nicht einmal Neo-Noir, sondern kalblütigster, konsequentester Post-Noir in theoretisch warmen und praktisch zermürbenden Farben und einer angsterfüllten, melancholischen, fatalistischen und apokalyptischen Stimmung.
Die Suche nach dem Täter nicht aus dem Wunsch nach Gerechtigkeit, sondern wegen der Faszination - und die Gemälde von Einstellungen unterstützen diese, wo sie nur können - und dem Wunsch, das grausame Handeln zu verstehen, das Element of Crime in sich aufzunehmen und/oder auszubrüten.
Und nicht einmal das Wissen daran, dass alles Erinnerung und Hypnose ("hypnotisch" trifft das Ganze auch unheimlich gut) und längst vorbei, kann der Intensität und der Spannung (trotz Vorahnung!) etwas anhaben - Hölle bleibt Hölle, selbst wenn sie nur im Kopf ist.
"Here comes a candle to light you to bed. And here comes a chopper to chop off your head."
Glaubst du wirklich, dass es hier einen Ausgang gibt?
Einen Fluchtweg vor der Angst, der Paranoia und dem Todesurteil eines ganzen Kontinentes, wo Leichen nicht Wuterzeuger, sondern Kunstwerke und Touristenattraktionen sind?
In dieser Welt, wage ich zu befürchten, nützt Glaube und Hoffnung nicht mehr viel.
Denn wenn der Abgrund es wagt, uns zu lange anzustarren, dann starren wir zurück.
Dass er erschaudert.
8
Yi Yi - A One and a Two
Yi Yi
Taiwan 2000
Taiwan 2000
Regie: Edward Yang
Darsteller: Jonathan Chang, Su-Yun Ko, Nien-Jen Wu, Elaine Jin
Leben halt. Ohne falsche Dramaturgie und doch so dramatisch wie man es
befürchtet, spannungslos und spannungsvoll und angespannt und wieder
entspannt - für Minuten, die wie Tage sind - ohne Pathos, aber mitten
ins Herz, mit Tränen, aber ohne verlogene Hysterie. Mit missverstandenen
Fotos und dem Mädel vor dem Gewitter auf der Leinwand, mit falschen
Freundinnen und niemals wissend, was diese erzählt, mit Tränen im Herzen
und äußerlich unberührt. Mit undurchsichtigen Fasttoden und
schmerzhaften Errinnerungen, die persönlich auftreten, mit dem Gefühl,
dass es im Hotelzimmer falsch wäre, obwohl es ohne genausp falsch war.
Weiter und weiter im Fluss der Zeit und ich schwöre, hätte der Film das
Doppelte und dann nochmal das Dreifache gedauert, es wäre mir nicht
aufgefallen. Kein Anfang und kein Ende. Was Fish Tank schaffte, hat Yi Yi schon vor Jahren geschafft. Wie soll man das schon bewerten, dem
Leben gebe ich doch schließlich auch keine Punktzahlen und Yi Yi
braucht, nein, darf man nicht kategorisieren.
Gozu
Japan 2003
Regie: Takashi Miike
Darsteller: Hideki Sone, Sho Aikawa, Kimika Yoshino u.a.
Ein Werk, was zuweilen berauscht, zuweilen den Zuschauer aber auch
ganz unsanft von sich stößt. Momente hypnotischer Alptraumhaftigkeit
wechseln sich ab mit Momenten puren Unverständnisses für das Geschehen,
doch die Hoffnung, das Ganze seie mehr als (Anti-)Kunst um der Kunst
willen, will auch durch die perfidesten Abstrusitäten nicht sterben. Mit
Recht: Nach einer Stolperodysse durch eine Realität gewordene Vorhölle,
an dessen Unstetigkeit sich die Inszenierung teils auf quälende Weise
ausrichtet, und der Teilnahme an einem schmerzvollen, gar infernalen
physischen Showdown blicken Protagonist und Zuschauer etwas Wundervollem
entgegen, was beglückt und entschädigt.
Eine romantische Mysteryhorrorkomödie, die sich an jedes der Genres
von hinten anschleicht und diese fröhlich vergewaltigt. Wer Miikes Art,
Geschichten zu erzählen, akzeptieren kann, wird auch Gozu (der Titel
verweist übrigens auf eine der feinsten Szenen des Films) akzeptieren
müssen. Allen anderen bleibt dieser einzigartiger, hochverzwickter
Zugang zu einem bekannten Thema wohl leider verwehrt.
7
Abonnieren
Posts (Atom)